Das jüngste Gericht – Teil 4

P1020303 Große E-Mail-Ansicht

Joe saß bei Jack in seinem riesigen Büro in einer der obersten Etagen eines Wolkenkratzers in Manhattan. Beide starrten fasziniert auf den großen Flachfernseher an der Wand.

„Die kleine Rote versaut uns das ganze Geschäft“, sagte Joe. „Fuck, fuck, fuck. Die Leute verkaufen wie die Wahnsinnigen.“

„Ach was, spätestens morgen, wenn der ganze Spuk auffliegt, setzt der Gegentrend ein. Außerdem machen wir im Moment Kasse mit unseren Puts. Wir müssen nur den Turning Point nicht verpassen.“

Auf dem Bildschirm war gerade ein Mann mit schiefer Krawatte und verschwitztem Gesicht daran, eine Frage zu stellen.

„Gott…ich meine…verehrte Göttin, …wie sollen wir Sie überhaupt ansprechen Madame?“

„Das spielt keine Rolle“, entgegnete die Frau in Rot. „Ich habe so viele Namen wie es in diesem Universum Sterne gibt.“

„…gut, dann bleibe ich wohl bei Gott. Wie müssen sich das die Menschen vorstellen? Ich meine die Sache mit dem Jüngsten Gericht. Wie wird das ablaufen? So wie es in der Bibel steht?“

„Du hast die Bibel nie gelesen, mein Sohn.“ Die Frau verzog ihre roten Schmolllippen zu einem Lächeln. Der Mann lief rot an. „Es ist ganz einfach: Noch bevor der Tag zu Ende geht, werden alle gerichtet und diese Erde verlassen. Richtung Paradies oder Richtung Hölle, je nach Lebensbilanz…“

„Die ist echt gut, die Kleine“, grinste Jack. „Ich würde die sofort einstellen.“

„Psst“, machte Joe.

„Du glaubst doch nicht etwa den Scheiß?“, fragte Jack?

„…dann werden wir alle einfach von dieser Erde verschwinden…ich meine…was wird dann aus der Erde?“, fragte gerade der Mann mit der schiefen Krawatte.

„Genauso ist es, mein Sohn. Aber mache dir keine Sorgen um die Erde. Sie wird auch ohne Menschen auskommen.“

„Ja, aber was ist mit den Atomkraftwerken, mit den Flugzeugen, die gerade in der Luft sind?“, rief eine gestylte Blondine mit einem Aufnahmegerät. „das gibt doch eine weltweite Katastrophe. Oder dürfen die Flugzeuge vorher landen, bevor die Menschen verschwinden?“

„Mein Gott, ist die Tunte naiv!“, rief Jack und klopfte sich auf den Schenkel. „Was für eine Show! Mein Gott, der Kerl, der das inszeniert hat, macht gerade ein Vermögen.“

„Psst“, machte Joe, ohne seine Augen vom Bildschirm zu lassen.

„…mach dir keine Sorgen, meine Tochter, die Zeit wird es richten“, antwortete Gott.

Wieder schossen die Hände der Konferenzteilnehmer in die Höhe. Gott wählte diesmal einen Mann mit einer Kippa aus.

„Was geschieht mit den Verstorbenen, all den Menschen, die je auf diesem Planeten gelebt haben? Werden die auch gerichtet und werden sich die Angehörigen auf der anderen Seite wiedersehen?“

„Ja, die Verstorbenen werden ebenfalls vor dem jüngsten Gericht erscheinen. Allerdings bedingt dieser Prozess etwas mehr Vorbereitung…“

„Jetzt hat er sie am Arsch!“, rief Jack. „Vorbereitung, hat die Rote gesagt. Jetzt sollte auch dem dümmsten Redneck klar werden, dass die nicht Gott sein kann.“

Der Mann mit der Kippa hatte offenbar die gleiche Überlegung angestellt. Er rief:

„…dann sind Sie nicht Gott. Gott würde das mit einem Fingerschnippen erledigen und bräuchte keine Vorbereitung.“

„Ich arbeite nicht mit Fingerschnippen“, entgegnete die Frau in Rot. „Die Lebenden zu entstofflichen und entweder in die Hölle oder ins Paradies zu schicken ist eine Sache, doch alle Verstorbenen aus diesem Universum zu extrahieren ist wesentlich schwieriger.“

„Auch Gott scheint seine Grenzen zu haben“, brummte Joe.

„Soviel zur Allmacht Gottes“, entgegnete Jack und grinste. „Die Kleine scheint etwas aus dem Konzept zu fallen.“

Derweil entstand im Konferenzsaal Unruhe. Die Menschen sprachen wild durcheinander. Die Frau in Rot wartete geduldig, bis sich die Aufregung etwas gelegt hatte. Dann erteilte sie einem Mann in einem tadellosen Anzug aus der hintersten Reihe das Wort.

„Sie scheinen also nicht so mächtig zu sein, wie es die Religionen behaupten…“, stellte er fest.

„Arrogantes Arschloch“, sagte Joe in Jacks Büro.

„…wieviel Zeit brauchen Sie denn, um all die Verstorbenen zu extrahieren, wie Sie es nennen?“

„Einige Milliarden Jahre deiner Zeitrechnung, mein Sohn. Doch Zeit spielt keine Rolle…“

„…dann müssen wir also unendlich lange auf unsere Verstorbenen warten?“

Wieder kam Unruhe unter die Menschen im Saal. Sie redeten alle durcheinander.

„Das kommt darauf an…“, entgegnete die Frau in Rot.

„…ich fasse es nicht!“, rief Jack. Fuck, fuck, fuck. Sie sagt, es käme darauf an. Ach du heilige Scheiße…“

„Psst“, machte Joe. Seine Augen und Ohren hingen am Bildschirm.

„…Zeit spielt im Paradies keine Rolle. Du wirst dort nicht warten müssen, mein Sohn. In der Hölle ist es natürlich etwas anders. Dort gehört Zeit zum Konzept. Das fällt in die Gestaltungsfreiheit des Teufels.“

In der dritten Reihe erlitt ein Mann eine Herzattacke. Zwei Frauen kümmerten sich um ihn. Eine rief: „Er stirbt, tun Sie doch was!“

Die Frau in Rot lächelte und der Mann, der am Boden lag, verschwand als hätte es ihn nie gegeben. Eine Frau in der Nähe fiel in Ohnmacht und ein Mann erbrach sich auf seinen Tablett-Computer.

„Was für eine Show!“, rief Jack in seinem Büro.

Joe hingegen sagte kein Wort. Er war kreideweiß im Gesicht.

 

Fortsetzung folgt



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