Christian Ulmen: «Ich wollte mal gequält werden»

Für seinen Kinofilm Jonas ist Christian Ulmen freiwllig sechs Wochen lang wieder zur Schule gegangen. Als Problemschüler erhält er an der Brandenburger Gesamtschule Paul Dessau in Zeuthen eine letzte Chance auf die mittlere Reife. Das bedeutet, dass sich der Schauspieler durch Klassenarbeiten gequält hat und Logarithmen an der Tafel ausrechnen musste. Hinter Jonas steckt Christian Ulmen, die Lehrer und Schüler sind aber echt. Im Interview mit news.de erzählt Ulmen, wie sich diese Zeitreise für ihn angefühlt hat. 

Sie sind sechs Wochen lang wieder zur Schule gegangen – warum zum Teufel haben Sie sich das angetan?

Christian Ulmen: Ja, das hab ich mich nach der ersten Woche auch intensiv gefragt, aber da steckte ich schon drin, in dem Schlamassel. Als Kunstfigur war ich schon überall, als Uwe Wöllner im Puff als Alexander von Eich bei Polizeistreiks. Und beim Darübernachdenken, was ich als nächstes machen könnte, kamen wir darauf, dass uns alle der wiederkehrende Albtraum einte, in der Schule zu versagen: zu viele Fehlstunden angehäuft und dann nicht zur Abiprüfung zugelassen werden, Abi verhauen, Mathe vorrechnen. Und das bei allen, auch bei denen, die in der Schule gut waren. Wir dachten: Wie spannend wäre es, sich zum Quell dieser Albträume und in die Höhle des Löwen zu wagen und zu gucken, was passiert, wenn man wirklich wieder zur Schule geht.

In der Hoffnung auf therapeutische Wirkung?

Ulmen: Ich glaube, das machte den Spaß mit aus. Zu gucken, ob ich diesen Albtraumherd ausmachen kann. Zu gucken: Was war eigentlich so schlimm? Und auch die Hoffnung, weil diesen Traum so viele haben, dass man mit dem Film in seine eigene Vergangenheit reisen kann, wie eine Zeitreise. Das glaube ich, macht der Film auch. Man schaut zu und denkt: Ah, so einen Mathelehrer hatte ich auch. Und mir war es peinlich, an die Tafel zu gehen. Wir wollten einen Film für alle machen, die keine Zeit haben, selbst sechs Wochen lang zur Schule zu gehen.

Hat es denn bei Ihnen funktioniert? Träumen Sie nicht mehr von der Schule?

Ulmen: Interessanterweise: Ja. Das ist jetzt ein Jahr her und ich habe seitdem nicht mehr von der Schule geträumt.

Woran liegt es wohl, dass wir da alle traumatische Erfahrungen gesammelt haben?

Ulmen: Ich glaube, es liegt daran, dass man als Schüler die Lehrer nicht mag oder Angst vor ihnen hat. Man fühlt sich ihnen ausgeliefert. Da gibt es sicher Ausnahmen, aber das Gros der Lehrer hat einen unter Druck gesetzt, weil sie so viel Macht haben. Sie können bestimmen, ob ich sitzenbleibe oder nicht, sie können mir eine sechs geben, sie können mich die Hausordnung zwanzigmal abschreiben lassen. Es fühlt sich ja so an, als ob sie alles mit einem machen können. Und das entmenschlicht Lehrer, die nimmt man nicht wahr als Menschen, sondern als Tyrannen.

Es gibt ja diesen klassischen Satz, der einem immer um die Ohren gehauen wird: «Man lernt nicht für die Schule, sondern fürs Leben» – aber als Schüler begreift man das nicht so recht, da denkt man, man muss die Matheaufgabe jetzt lösen, weil der Lehrer das so will.

Ulmen: Ja, genau. Während der Dreharbeiten, als ich noch Jonas war, hab ich das noch nicht sehen können, da war einfach alles genauso schlimm wie früher, aber es gibt eine Seele in den Köpfen der Lehrer. Und das merkt man als Schüler oft nicht. Manche von denen sitzen verzweifelt oder traurig zuhause, weil ihr Unterricht nicht ankommt. Und diese Vermenschlichung hilft, dieses Trauma zu überwinden, weil man erkennt: Man war nicht in der Hölle, das hat sich nur so angefühlt. Das waren nicht alles Teufel, die einem mit dem Dreizack in den Hintern gepiekst haben, sondern das waren Menschen, die nun mal den Job haben, einem etwas beizubringen.

Da gab es im Film zwei sehr schöne Momente: Als Sie nach vielen Kämpfen mit dem Mathelehrer plötzlich den Logarithmus an der Tafel ausrechnen konnten, da blüht der Lehrer regelrecht auf und man hat den Eindruck, dass er sein Leben lang nur auf diesen Moment gewartet hat, um seinen Glauben an die Schüler wiederzugewinnen. Und dann gab es da auch noch die Szene mit der Religionslehrerin, die ihren Schülern Songs vorspielt, um den Unterricht aufzulockern und dann sagen die: Was soll der Mist? Da hab ich gedacht: Ach, Mann, die Arme.

Ulmen: Ja, genau diese Momente verdeutlichen einem das Lehrerdasein und diesen Blick hat ein Schüler nicht, weil er so mit seiner eigenen Leistungserbringung und dem Beurteiltwerden beschäftigt ist, dass er den Blick gar nicht haben kann, zu sehen: Der freut sich jetzt, dass ich das verstanden habe oder die Lehrerin ist verletzt, weil ich ihre Lieder scheiße fand.

Gab es da auch ein missionarisches Anliegen?

Ulmen: Nein, das habe ich nie. Es ging um die Idee und dann bewahre ich mir auch die Naivität, einfach diese Idee toll zu finden. Ich habe gelernt, dass wenn ich als Figur in die Wirklichkeit gehe, hinterher immer eine Erkenntnis abfällt, ohne dass es Absicht war. Wie zum Beispiel diese Lehrersicht. Das muss man sich gar nicht vornehmen.

Es macht Ihnen also einfach Spaß, in andere Rollen zu schlüpfen, andere Leben auszuprobieren?

Ulmen: Ja, das ist das persönliche Vergnügen und ich habe das Glück, dass dadurch auch immer etwas entsteht, das über mein Privatvergnügen hinaus Sinn macht.

Die Lehrer und Schüler haben aber schon gewusst, dass hinter Jonas Christian Ulmen steckt, oder?

Ulmen: Ja, das haben sie gewusst. Es ist aber auch so ein Erfahrungswert, dass das letztlich egal ist. Ich hab das in Mein neuer Freund gelernt, da war ich ein Wochenende lang in Verkleidung bei einem Menschen zuhause und der musste so tun, als sei ich sein Freund. Die wussten ja, dass ich ein Schauspieler bin. Und trotzdem waren die am Rand der Verzweiflung und haben diese Figur irgendwann als real empfunden, das geht gar nicht anders. Das Wissen, dass eigentlich Ulmen hinter der Maske steckt, ist eigentlich komplett irrelevant.

Tut Ihnen das manchmal auch leid, dass Sie Menschen in den Wahnsinn treiben?

Ulmen: In Jonas ist das ja nicht passiert, das ist ja genau das Gegenteil dessen. Jonas ist kein provokanter Charakter, der will niemanden hochnehmen. Hier wollte ich zum ersten Mal vom Umfeld hochgenommen werden, ich wollte mal gequält werden und dann reagieren statt zu agieren.

Als Buße?

Ulmen: Man könnte es fast so sehen. Aber eigentlich eher, damit mir nicht langweilig wird und ich nicht immer dasselbe mache. Jetzt ist das mal anders herum. Und zuvor, als ich provozierte, habe ich das in diesen Momenten gar nicht so im Sinne eines Mitgefühls als Tyrannei empfunden, weil ich eben die Figur war und in der Logik der Figur war alles, was sie machte, legitim. Knut Hansen kocht halt dauert Bohnen und die brennen an, das stinkt dann und löst einen Würgreiz bei den Kandidaten aus. Das hab ich als Knut Hansen nicht so erlebt, denn Knut Hansen mag verbrannte Bohnen. Ich war so drin in der Gedankenwelt, dass all das, was man an Gemeinheiten und Qual erzeugt, überhaupt nicht wahrnimmt.

Geht es Ihnen dann also wie dem Umfeld, dass Sie selbst auch vergessen, dass Knut Hansen eigentlich Christian Ulmen ist?

Ulmen: Ja. So ist es.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, ob Christian Ulmen sich im Film Jonas tatsächlich betrunken hat…

Welche Situationen im Film haben Ihre Albträume besonders bestätigt?

Ulmen: Da reichte schon das Öffnen der Schulpforte. Der Geruch von Bohnerwachs. Und dann dieses: «Setz dich hin und nimm das Kaugummi raus.» Das war alles schlimm, da war man sofort wieder Schüler und hat sich sofort wieder gegängelt gefühlt. Unfrei, unbestimmt. Diese komische Grundangst, die da immer ist, ohne zu wissen, wovor eigentlich. Hinzu kam, dass ich dachte: Du bist 36 Jahre alt und drehst hier gerade einen Film – wovor hast du eigentlich Angst? Aber ich hab mich immer instinktiv geduckt, wenn der Lehrer eine Antwort von mir wollte und mir klar war: Ich weiß es einfach nicht. Da gab es das Wissen, dass ich gerade einen Film mache, nicht mehr. Da war ich der Jonas, mit all dieser Scham und Peinlichkeit.

Ich hatte großes Mitgefühl, als Sie an der Tafel standen und einen Logarithmus ausrechnen sollten. Wahrscheinlich hat das aber auch nicht unbedingt etwas mit der Schule zu tun, sondern mit dem Gefühl vorgeführt zu werden oder was meinen Sie?

Ulmen: Ja, ich fand es als Schüler immer unhöflich, wenn Lehrer mich dran genommen haben, obwohl ich mich nicht gemeldet hatte. Das ist ja eigentlich der Deal, den man mit einem Lehrer eingeht: Er fragt was und wer die Antwort weiß, meldet sich. Das heißt also, wenn ich mich nicht melde, weiß ich die Antwort wahrscheinlich nicht. Warum werde ich dann aber dran genommen? Das pädagogische Konzept dahinter verstehe ich bis heute nicht, denn ein introvertierter Schüler wird ja nicht plötzlich extrovertiert und selbstbewusst, wenn er ständig vorgeführt wird. Im Gegenteil, da wird man ja nur noch gehemmter. Und an der Tafel vorrechnen, ist für mich einfach der Gipfel der Demütigung. Das kann man mit Schülern machen, die es echt können, als Positivbeispiel, die Uschi zeigt uns mal, wie das geht, statt den Konrad zu nehmen, der ne Null in Mathe ist und dann da vorne schwitzt. Das hilft dem ja nicht.

Gab es auch Situationen, von denen Sie gerne träumen würden, wenn Sie noch einmal einen Schultraum haben sollten?

Ulmen: Was mir an dieser Schule und auch damals an meiner Schule gefallen hat, war der Zusammenhalt. Alles, was man so über Mobbing liest, über abziehen oder so, das gab es da nicht. Aber auch diese Dreherfahrung. Ich fand, dass wahnsinnig gute Typen in der Klasse waren, die auch Jonas gut aufgenommen haben. Nicht alle, deswegen meine ich auch sagen zu können, dass sich die Schüler nicht so verhalten haben, weil Kameras dabei waren. Es gab auch ein paar, die Jonas abblitzen ließen, aber das Gros hat ihn aufgenommen. Und das kannste auch nicht über sechs Wochen spielen. Nach zwei Tagen Faszination über die Kameras bist du dann wieder bei dir.

Als sich die Schüler an dieser Trinkhalle getroffen haben und da dieser grauenvolle Weinbrand floss (Ulmen lacht), haben Sie sich da tatsächlich betrunken?

Ulmen: Nein, ich hab da nur so getan. Aber ich bin auch mal angetrunken zur Schule gekommen, da hatte ich Jägermeister getrunken und ich wollte mal gucken, was passiert, wenn Jonas betrunken zur Schule kommt, weil er so fertig ist wegen seiner Matheklausur. Das hat nur keiner gemerkt. Niemand hat die Fahne gerochen. Dann dachte ich, da kann ich es auch gleich spielen. Und dann hab ich an dem Abend nur so getan und das Zeug nicht wirklich getrunken, weil ich es auch eklig fand.

Da gab es dann die Situation, in der Teddy eingriff und sagte: Jetzt ist aber gut, du hast genug getrunken. Ich hatte den Eindruck, da waren Sie gerührt – ist das richtig?

Ulmen: Nee, da war ich einfach nur besoffen.

Also, doch?

Ulmen: Nein, besoffen gespielt. Gerührt war ich nicht, denn ich fand das ein wenig bigott, schließlich gibt es da den harten Alkohol. Das ist für mich fast schon eine Lehrerhaltung. Ich meine, Teddy ist ein guter Typ und der meint das auch nicht böse, aber ich fand es schräg, dass man erst sagt: So, wir besaufen uns jetzt und dann werden da Trinkspiele gemacht. Und wenn dann einer richtig besoffen ist, heißt es: Hey, jetzt ist aber gut. Man darf saufen, aber nicht besoffen sein. Bei uns früher war das so: Wenn wir gesoffen haben, dann bis wir kotzen mussten.

Man muss vielleicht auch einfach lernen, wie man mit Alkohol umgeht und selber den Punkt finden, an dem es reicht.

Ulmen: Genau. Dabei kann es auch mal passieren, dass man sich so die Kante gibt und dann  für zwei Tage brach liegt. Unter Umständen ist das effektiver als Teddys Alkoholkontrolle.

Der Film Jonas mit Christian Ulmen läuft seit dem 5. Januar in den Kinos.

Quelle:
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Christian Ulmen – «Ich wollte mal gequält werden»


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