Burschenschaftler feiern im Rebstockpark

Der Rebstockpark ist einer der angenehmsten öffentlichen Parks in Frankfurt am Main. Um einen fast schon biotopartigen Weiher herum erstreckt er sich, dort quaken Frösche und zahlreiche Vogelarten brüten hier. Fast jeden Tag drehe ich mittlerweile mindestens eine Runde um diesen Weiher, mal nachdenklich spazierend, mal telefonierend, mal joggend.
Meistens ist es im Park eher ruhig, wenn ich dort bin, bisweilen fast menschenleer. Wenn das Wetter aber gut ist am Wochenende, wirkt der Park wie der lebende Beweis dafür, dass „Multikulti“ doch keine leere Phrase, sondern eine Realität ist: Eine aus Afrika stammende Familie feiert eine Hochzeit, türkische Familien grillen, polnische Jungs spielen mit deutschen und arabischen Fußball … An jeder Ecke hört man die Leute in einer anderen Sprache reden. Ich habe dort noch nie ausgrenzendes oder auch nur unfreundliches Verhalten irgendeiner Art erlebt.

Doch seit einigen Tagen nun schon befindet sich ein Fremdkörper im Rebstockpark. Kurz nach Sonnenuntergang drehte ich noch eine schnelle nächtliche Runde um den Weiher, da vernahm ich Männerstimmen, die sangen. Die Melodie kam mir vage bekannt vor, neugierig näherte ich mich ihnen. Es waren der Uniform nach zu urteilen eindeutig Burschenschaftler, etwa 10, sie hatten sich um ein Lagerfeuer versammelt und gröhlten ihr Lied. Den Text verstand ich nicht.
Jetzt war mir auch klar, was hier seit mehreren Tagen aufgebaut worden war (mir war es nicht entgangen): Die Burschenschaftler feiern hier augenscheinlich ein größeres Fest mit einem Zelt, Bierbänken, einem Grill, vermutlich viel Bier.
Ich ging weiter, die Melodie innerlich wiederholend. Woher kannte ich sie nur? Nach einer Weile fielen mir sozusagen die Tomaten aus den Ohren: Die Männer hatten tatsächlich „Heil Dir im Siegerkranz“, die Hymne des deutschen Kaisers, gesungen!

Am nächsten Tag ging ich dort noch einmal bei Tageslicht vorbei. Es waren nun noch mehr Leute, insgesamt etwa 30, die Hälfte uniformierte Burschenschaftler, der Rest „Zivilisten“, auch ein paar Frauen. Ich erkannte nun erst das tatsächliche Ausmaß dieses Festes: Außer Zelten und Bierbänken gehören zu den Aufbauten der Burschen noch ein improvisiertes Minigestüt mit zwei Pferden und – leider habe ich keine Photos gemacht, aber es ist wahr, ich habe es mit eigenen Augen gesehen – eine Dampflokomotive mit Waggon (es gibt im Rebstockpark eine kleine Bahnstrecke) und, es kommt noch besser, ein kleines militärisches Geschütz, vermutlich eine Feldhaubitze! Über dem allen thront ein Fahnenmast, dort gehisst einmal blau-gold, einmal schwarz-weiß-rot, die alte Reichsflagge.

Es ist wirklich krass, dass ausgerechnet einen Monat vor dem 100. Jahrestag des Attentats von Sarajevo mitten in einem der multikulturellsten Gebiete Deutschlands so ein nationalistisches, militaristisches Fest stattfinden kann. Vermutlich handelt es sich um eine bewusste Provokation, um zu demonstrieren, wer in Deutschland noch immer das Sagen hat. Aus dem Gallus kommen diese Leute sicher nicht.

Wo sie mit größerer Wahrscheinlichkeit herkommen, ist Bad Homburg. Dort, im Lieblingskurort Wilhelms II., findet derzeit ebenfalls passend zum Jahrestag des 1. Weltkriegs eine tendenziöse Vortragsreihe über den Kaiser statt, um gleich zu markieren, wohin die Reise geht, hielt den Eröffnungsvortrag Christopher Clark, der die angebliche Behauptung einer Alleinschuld Deutschlands am 1. Weltkrieg zu widerlegen sucht, gefolgt von einem Vortrag über die produktive Technikbegeisterung des Kaisers. Generell soll durch einen „ambivalenten“ Blick Verständnis für Wilhelm II. und seine imperialistische Politik geweckt werden, alles soll so differenziert wie möglich betrachtet werde. Die Titel krude alla „Chancen und Scheitern des ‚Medienkaisers‘ Wilhelm II.“ oder „Potentiale und Probleme des politischen Systems unter Wilhelm II.“. Von den Opfern der deutschen Großmachtpolitik unter diesem Kaiser ist keine Rede, es gibt noch nicht einmal einen Vortrag zu seiner Kolonialpolitik mit all ihrer Barbarei, erst recht nicht von den Gräuel des Krieges. Wilhelm II. wird zu einem ästhetischen Faszinosum – ob es in ein paar Jahrzehnten ähnliche Vortragsreihe zu Hitler gibt?

Aus dem Einleitungstext des Programmhefts: „Im Jahr 2014 finden in Deutschland beachtenswert viele Veranstaltungen statt, die sich mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 und seinen verheerenden Folgen beschäftigen. Es ist auffällig, wie wenig dabei die Vorgeschichte, die handelnden Personen und Herrscher, deren Zwänge, Nöte und Möglichkeiten beleuchtet werden.“ Ja, es wäre in der Tat wichtig, die Ursachen des Krieges zu besprechen – aber wieso anhand biographischer Studien über Wilhelm II.?

Es läuft wirklich etwas schief in diesem Land, die Hegemonie scheint derzeit ziemlich krass nach rechts zu kippen und das ausgerechnet in diesem Jahr.


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