Bundestag will Kinderrechte beschneiden

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Jacques Tilly / www.giordano-bruno-stiftung.de

Der Deutsche Bundestag hat mit brei­ter Mehrheit dem frak­ti­ons­über­grei­fen­den Antrag zur “Rechtlichen Regelung der Beschneidung min­der­jäh­ri­ger Jungen” zuge­stimmt. “Ein Armutszeugnis für den säku­la­ren Rechtsstaat”, meint gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon in sei­nem Kommentar.

Es war lei­der nicht anders zu erwar­ten: Die Bundestagsabgeordneten haben mehr­heit­lich einem von CDU/CSU, SPD und FDP ein­ge­brach­ten Erschließungsantrag zuge­stimmt, mit dem die Bundesregierung beauf­tragt wird, gesetz­li­che Regelungen zu schaf­fen, die die reli­giös Vorhautbeschneidung min­der­jäh­ri­ger Jungen in Deutschland erlaubt. Die drin­gen­den Apelle deut­scher und inter­na­tio­na­ler Kinder- und Jugendärzte, die in Bezug auf die ritu­elle Vorhautbeschneidung von einem „erheb­li­chen Trauma“ spre­chen (siehe u.a. den Bericht der „Frankfurter Rundschau“ und die Pressemitteilung des Verbands der deut­schen Kinder- und Jugendärzte) ver­hall­ten ebenso unge­hört im Raum wie die glas­kla­ren Argumentationen zahl­rei­cher Juristen, die die ritu­elle Vorhautbeschneidung als ille­gi­time Körperverletzung und Verstoß gegen die Selbstbestimmungsrechte der betrof­fe­nen Jungen aus­wie­sen (siehe hierzu u.a. das Urteil des Kölner Landgerichts, das die Debatte aus­löste, den Grundsatzartikel zur fragl­ci­hen Rechtmäßigkeit der Knabenbeschneidung von Prof. Dr. Holm Putzke sowie den Kurzkommentar von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf).

Vor allem das Eiltempo, in dem die par­la­men­ta­ri­sche Entscheidungsfindung von­stat­ten­ging – die sich im Urlaub befind­li­chen Parlamentarier hat­ten keine Zeit, sich mit der Thematik auch nur halb­wegs ange­mes­sen aus­ein­an­der­zu­set­zen – , belegt, dass es in die­ser Frage zu kei­nem Zeitpunkt darum ging, durch eine gründ­li­che Abwägung von Argumenten zu einer sach­ge­rech­ten Lösung zu kom­men. Worum es tat­säch­lich ging, hat Jacques Tilly in sei­ner Karikatur zum heu­ti­gen Bundestagsbeschluss wun­der­bar zum Ausdruck gebracht (sie kann in Druckauflösung hier her­un­ter­ge­la­den und bei Angabe der Quelle “Jacques Tilly/www.giordano-bruno-stiftung.de” frei ver­wen­det wer­den): Die heu­tige “Vorhautresolution” des Deutschen Bundestag ist ein demo­kra­tie­un­wür­di­ger Kniefall vor kon­ser­va­ti­ven Religionslobbyisten und ein Armutszeugnis für den säku­la­ren Rechtsstaat, der sich offen­kun­dig scheut, seine Rechtsnormen gegen die Propagandisten archai­scher Riten durch­zu­set­zen.

Die deut­schen Parlamentarier hät­ten heute die Chance gehabt, die Rechte der Kinder zu stär­ken. Sie hät­ten die Artikel 19,1 und 24,3 der UN-Kinderrechtskonvention ins Feld füh­ren kön­nen, die Kinder vor elter­li­cher Gewalt und bru­ta­len ritu­el­len Bräuchen schüt­zen sol­len. Sie hät­ten klar­stel­len kön­nen, dass säku­lare Rechtsnormen für alle gel­ten müs­sen – auch für Religionsgemeinschaften. Sie hät­ten nicht zuletzt auch die Gelegenheit gehabt, die Forderungen pro­gres­si­ver Juden und Muslime zu unter­stüt­zen, die die archai­schen Riten ihrer Vorväter längst über­wun­den haben und deren ethi­sche Rückständigkeit in aller gebo­te­nen Deutlichkeit kri­ti­sie­ren (siehe u.a. die Website der “Jews against Circumsision”).

Leider hat der Deutsche Bundestag diese ein­ma­lige Chance ver­spielt. Er hat dafür votiert, Kinderrechte zuguns­ten archai­scher Riten zu beschnei­den, hat die moder­nen Werte des säku­la­ren Rechtsstaats über­hol­ten reli­giö­sen Bräuchen unter­ge­ord­net, hat die so wich­ti­gen Initiativen pro­gres­si­ver Juden und Muslime geschwächt und sich zum Büttel all derer gemacht, die ihre Glaubensdogmen par­tout nicht über­den­ken wol­len, selbst wenn Kinder die Leidtragenden sind.

Noch ist nichts ent­schie­den!

Doch noch ist das letzte Wort in die­ser Angelegenheit nicht gespro­chen. Denn der Erschließungsantrag des Deutschen Bundestags hat im Grunde nur sym­bo­li­schen Charakter, ent­schei­dend ist, wie nun das Bundesjustizministerium mit der Resolution des Deutschen Bundestags ver­fährt. Und dies ist bei­leibe keine leichte Aufgabe! Denn wie auch soll es dem Ministerium gelin­gen, „unter Berücksichtigung der grund­ge­setz­lich geschütz­ten Rechtsgüter des Kindeswohls, der kör­per­li­chen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vor­zu­le­gen, der sicher­stellt, dass eine medi­zi­nisch fach­ge­rechte Beschneidung von Jungen ohne unnö­tige Schmerzen grund­sätz­lich zuläs­sig ist“?

Bei genaue­rer Betrachtung ist diese Forderung der Bundestagsresolution ein Widerspruch in sich. Denn nach­weis­lich dient die ritu­elle Vorhautbeschneidung eben nicht dem Kindeswohl, sie garan­tiert eben nicht die kör­per­li­che Unversehrtheit des KIindes. Und sie ist not­wen­di­ger­weise mit Schmerzen ver­bun­den, die zum einen gra­vie­rend (wer die Vorhautbeschneidung mit einer Impfung oder mit dem Stechen eines Ohrrings ver­gleicht, hat keine Ahnung oder lügt!) und zum ande­ren aus der Perspektive der säku­la­ren Rechtsordnung bei Fehlen einer medi­zi­ni­schen Indikation völ­lig unnö­tig sind.

Zur Religionsfreiheit der Eltern wie­derum ist zu sagen, dass sie durch ein Verbot der Vorhautbeschneidung über­haupt nicht tan­giert würde, erstreckt sich deren Religionsfreiheit doch bloß auf sie sel­ber, nicht aber auf ihre Kinder! Und bei der Abwägung des Erziehungsrechts der Eltern gegen­über dem Selbstbestimmungsrecht der Kinder hat die von Deutschland unter­zeich­nete UN-Kinderrechtskonvention nun ein­mal klare Prioritäten gesetzt: Sie schützt die Rechte der Schwächeren! Wer meint, dass Kinder unter der tota­len Verfügungsgewalt ihrer Erzeuger oder Betreuer ste­hen, hat nicht ein­mal im Ansatz begrif­fen, was Kinderrechte bedeu­ten. Es sollte klar sein: Die kör­per­li­che Unversehrtheit des Kindes ist ein Rechtsgut, das deut­lich über der Erziehungsgewalt (sic!) der Eltern steht.

Halten wir fest: Zwar hat der Deutsche Bundestag mit sei­nem heu­ti­gen Votum hin­läng­lich gezeigt, wo er sich selbst in Sachen „Kinderrechte“ ver­or­tet, doch noch ist nichts ent­schie­den. Dass die Bundestagsfraktion der Grünen im letz­ten Moment davon absah, den Erschließungsantrag zur „Rechtlichen Regelung der Beschneidung min­der­jäh­ri­ger Jungen“ mit den ande­ren Fraktionen in den Bundestag ein­zu­brin­gen, mag als klei­ner Hoffnungsschimmer gel­ten, dass die öffent­li­che Debatte etwas bewir­ken kann. Zudem sollte nicht ver­ges­sen wer­den, dass Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger, die vor der schwie­ri­gen Aufgabe steht, eine gesetz­li­che Regelung für die in sich wider­sprüch­li­che Forderung des Parlaments zu fin­den, gegen­über bürgerrechtlich-humanistischen Forderungen auf­ge­schlos­se­ner ist als die meis­ten ande­ren Vertreter der poli­ti­schen Klasse. Ihr poli­ti­scher Handlungsspielraum ist zwei­fel­los begrenzt, aber wenn sich die Verteidiger der Kinderrechte in den nächs­ten Wochen deut­li­cher arti­ku­lie­ren wür­den, könnte sie sich viel­leicht davon über­zeu­gen las­sen, dass es für einen moder­nen Rechtsstaat zwin­gend erfor­der­lich ist, jene Position zu ver­tre­ten, die im Bundestag heute sträf­lichst unter­ging, näm­lich: dass Religionsfreiheit nie­mals bedeu­ten kann, Kindern unge­straft Schmerzen zufü­gen zu dür­fen.

[Quelle: giordano-bruno-stiftung.de - dort mit Links]

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