Bücherlese: Sibylle Lewitscharoff, Blumenberg

Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg - ein weiterer Teil der neuen Reihe Bücherlese - Aus meinen Bücherregalen. Der schmale Roman ist 2011 erschienen und war in die LiteraTour Nord 2011-2012 einbezogen.

Blumenberg

Das ist schon ein seltsamer bis skurriler Roman, der mich aber durch seinen Humor und Sprachwitz gleich angesprochen hat. Bewundernswert finde ich die Fähigkeit der Verfasserin, Fantasie und Fakten zusammenzubringen. Plötzlich, in der Nacht, liegt ein Löwe im Arbeitszimmer des angesehenen Philosophen Blumenberg. Klar, der Löwe kann nur der Fantasie der Erzählerin entsprungen sein - den Philosophen Blumenberg (im Roman hat er keinen Vornamen) jedoch hat es wirklich gegeben. Es ist Hans Blumenberg (1920-1996), der zuletzt (seit 1970 bis zu seiner Emeritierung 1985) tatsächlich in Münster gelehrt hat. Sibylle Lewitscharoff versteht es, vieles aus Blumenbergs philosophischen Gedanken in die Erzählung einfließen zu lassen, ohne dass es aufgesetzt wirkt; für mich als Nicht-Kenner blumenbergscher Philosophie wird manche Anspielung gar nicht erkennbar sein. "Nach korrekten Blumenbergzitaten", schreibt Sibylle Lewitscharoff in einem Nachwort, "wird man vergeblich suchen. Aber Halbsätze, Kurzprägungen, abgewandelte Gedankengänge, einzelne Wörter habe ich dem verehrten Philosophen entwendet ..."

Der Löwe taucht immer wieder auf, z.B. im Hörsaal während einer Vorlesung Blumenbergs - nur er sieht ihn, für die Studentinnen und Studenten ist er nicht sichtbar. Die entsprechenden Abschnitte sind mit "Der Löwe I", "Der Löwe II" usw. bis "Der Löwe V" überschrieben. 

Es gibt einen zweiten Erzählstrang, ebenfalls fiktiv, der von einigen der Studenten Blumenbergs in Münster handelt, darunter Gerhard Optatus Baur, ein glühender Blumenbergianer, und Isa, anscheinend seine Freundin, die sich aber in Wirklichkeit heftig in Blumenberg verliebt und sich entsprechend verhält (ohne dass sie tatsächlich zusammenkommen). Merkwürdigerweise sterben alle nach und nach (hier wird die Verfasserin denn doch allzu fantastisch). Die Teile über die Studentinnen, Studenten sind eher blass geraten, nicht plastisch genug; immerhin lassen sie sich als eine nette Persiflage auf den akademischen Betrieb lesen.

Am 28. März 1996 starb nach einem Herzinfarkt auch Blumenberg (was sich wiederum mit der Wirklichkeit deckt). Es gibt ein Nachspiel in einem Zwischenreich kurz vor dem Jenseits; dort treffen sich alle wieder, auch der Löwe ist anwesend.

Der Roman enthält außerdem zwei Abschnitte, in denen die Erzählerin aus ihrer Rolle fällt und ihre Erzähltechnik offenbart: "Kurzes Zwischenstück darüber, wo die Zuständigkeit des Erzählers endet" und "Weiteres Zwischenstück, in dem der Erzähler die Zeit um ein Jahr voranschiebt".

Rezensionen bei perlentaucher.de

Über "Apostoloff" von derselben Autorin habe ich 2009 in diesem Kulturblog geschrieben.

 Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart geboren, studierte Religionwissenschaften in Berlin, lebte jeweils ein Jahr in Buenos Aires und Paris und danach wieder in Berlin. Sie ist Autorin von Radiofeatures und Hörspielen und hat ein Grammatik-Brettspiel erfunden. 1994 veröffentlichte sie ihr erstes Buch, "36 Gerechte". Für ihren Roman "Pong" erhielt sie 1998 den Ingeborg Bachmann-Preis. Für "Apostoloff" bekam sie den Kleist-Preis und den Ricarda-Huch-Preis.

Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg. Roman. Suhrkamp: Berlin 2011. 220 Seiten, 21,90 Euro. Inzwischen (seit Dezember 2012) gibt es eine Taschenbuchausgabe: suhrkamp taschenbuch 4399, Euro 8,99. Verlagsinformationen hier.

Bücherlese: Sibylle Lewitscharoff, Blumenberg

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