[Buch] Replay – Benjamin Stein

Ein Mann, schlaftrunken, grübelt und träumt vor sich hin. Was im ersten Moment nicht sonderlich spannend klingt ist die Ausgangssituation in Benjamin Steins neuem Roman Replay.
Ed Rosen heißt der Mann, der da aufwacht und, Kafka lässt grüßen, eine Mutation an seinem Körper festzustellen glaubt. Ein Huf ist es, der da unter Bettdecke hervorschaut. Er kann und will es nicht glauben. Es ist nicht nur der Huf, sondern die Erscheinung des Panfigur (natürlich mit entsprechenden Hufen) die ihn schon längere Zeit verfolgt. Ed Rosen tut sich schwer mit unerklärlichen Erscheinungen, er ist Wissenschaftler und damit eigentlich durch Fakten und Tatsachen verwöhnt. Die Suche nach der Wurzel solcher Erscheinungen treibt Rosen deshalb im Verlauf des Buches dazu seine Lebensumstände zu hinterfragen.
Beginnend mit seiner Kindheit, seiner Wissenschaftlerlaufbahn bis hin zu seiner Tätigkeit in einem Technologie Start-up nimmt er den Leser anfangs mit. Besonders diese letzte Station erfordert besondere Aufmerksamkeit.
Schon bei seinem Vorstellungsgespräch spürt Rosen, dass sein zukünftiger Chef, Prof. Matana, von spezieller Art ist. Matana ist es schließlich der von Anfang an Ed Rosen formt. Dies geschieht zunächst nur in Form von Anforderungen an Eds Auftreten wird sich aber später auch in Richtung seines Lebensstils und seines Umgangs ausweiten. Durch diese gezielte Lenkung beginnt Rosen allerdings auch zum ersten Mal in seinem Leben eine bewusste Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Er beginnt sich um seine Körper zu sorgen und vor allem seine sozialen Beziehungen zu analysieren. So ist es auch wenig verwunderlich, dass er eine Beziehung zu einer Frau, namentlich Katelyn, aufbaut und sich dieser nach und nach öffnet.
Trotz aller positiven Entwicklungen mag ein kleiner Makel nicht verschwinden. Ed Rosen ist auf einem Auge blind. Ihn selbst hat dies nie wirklich gestört, aber sein Chef sieht das anders. Ed Rosen selber arbeitet in der Firma federführend an einem Implantat, welches menschliche Sinneswahrnehmungen wieder herstellen beziehungsweise ersetzen kann. So ist es nur eine Frage der Zeit bis Matana seinem Schützling anbietet der erste Träger dieses Implantats zu werden. Auch wenn er sich zunächst etwas dagegen verwehrt, so lässt er sich doch recht schnell darauf ein.
Im Verlauf der Operationsvorbereitungen und während der ersten Wochen mit dem Implantat beginnt die zweite Persönlichkeitsmetamorphose des Ed Rosen. Erneut lernt er, gesteuert durch Matana seinen Körper und seine eigenen Verhaltensweisen ein Stück besser kennen. Schon allein durch die körperliche Veränderung (Sport, gesunde Ernährung) erlangt er einen Zugewinn an geistiger Vitalität. Allerdings tritt ihm auch in dieser Phase die Figur des Pan erstmals gegenüber. Vor allem in Tagträumen begegnet ihm immer öfter ein Behufter.

Mit der Implantation und dem erfolgreichen Test des Gerätes ist diese Entwicklung jedoch gerade erst am Anfang. Rosen wird sie selbst weiterentwickeln. Nach und nach kommen neue Funktionen wie die Aufzeichnung aller „Daten“ der menschlichen Sinneswahrnehmung, der Zugang zum Internet/Nachrichtenstrom und die Telekommunikation mit anderen Implantatsträgern hinzu. Ist die Technik anfangs noch einigen wenigen vorbehalten (vornehmlich zur Beseitigung von Schwächen) so wächst mit der Zahl der Funktionen und der Miniaturisierung auch die Zahl der Nutzer.
Ein entscheidender Schritt in Richtung Massennutzung stellt die sogenannte Replay-Funktion dar. Von Rosen selbst kam der Gedanke das die Aufzeichnung der Sinnesregungen (des Auges) auch in die entgegengesetzte Richtung funktionieren sollte. Das heißt das jegliche Erinnerungssequenz jeder Zeit wieder abgespielt werden bei gleichzeitiger Anregung der Sinne wie sie in Wirklichkeit stattgefunden hat. Außerdem ist es möglich Erinnerungen ähnlich wie Videos zusammen zuschneiden, um individueller Erinnerungen zu synthetisieren.
Diese Technologie ist es nicht nur für Ed Rosen ein Schlüsselerlebnis sondern macht das Implantat unter dem Namen UniCom einem breiten Publikum zugänglich. Das ehemals als medizinisches Hilfsmittel konzipierte Implantat wird nach und nach zum Lifestyleobjekt. Durch die krasse technologische Abgrenzung zu bisherigen Kommunikationsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Smartphones, ist auch die Abgrenzung der Nutzer als eigene Gesellschaftsschicht noch stärker. Die Technik erlaubt quasi dem Menschen komplett physisch als auch psychisch sich mit einer Maschine zu verknüpfen. Alles was als Vernetzung und technischer Fortschritt in Utopien propagiert wurde hat sich im UniCom manifestiert.
Rein die Erfüllung dieser technischen Verheißungen lässt das System zu einem massiven Verkaufsschlager mutieren, der bald die Gesellschaft allein durch den kommerziellen Erfolg vollkommen im Griff hat. Es ist in erster Linie die Replay- Funktion, welche die Attraktivität ausmacht. Dabei ist es, wie Ed Rosen es einst für sich selbst im Auge hatte, der Genuss sexueller Erlebnisse mit Hilfe des Systems, welcher den Hauptanreiz ausmacht.
Doch diese Attraktivität samt der neu gewonnenen Möglichkeiten führt auch schnell zu gesellschaftlichen Veränderungen und Einschränkungen. Unter dem Mantel der scheinbaren Transparenz wird die Position jedes UniCom-Trägers dauerhaft aufgezeichnet. Außerdem werden automatisch Nachrichten- und Medienkonsum sowie das Kommunikationsverhalten jedes Einzelnen gespeichert.
Benjamin Stein hat als eine Welt konzipiert die im krassen Zwiespalt lebt. Einerseits gibt es durch die Etablierung einer Technik einen massiven Zuwachs an Lebensqualität während andererseits daraus Begehrlichkeiten, Einschränkungen und soziale Unterschiede erwachsen.
Jetzt mag man geneigt sein, das ganze als Utopie oder als Überspitzung ab zu tun. Doch das, was hier als so überspitzt dargestellt wird trifft haargenau den sogenannten Zeitgeist. In unserer Welt haben sich praktische und attraktive Technologien wie E-Mail, Smartphone und die schnelle Verfügbarkeit von Nachrichten rasend schnell durchgesetzt. Gleichzeitig hat sich allerdings weder das gesellschaftliche Bewusstsein noch eine Diskurslandschaft voll ausgebildet, die mit dieser Situation umgeht. Gerade die Rolle zwischen privatem und öffentlichem Bild eines Menschen und die Beziehung zwischen Mensch und Technik sind noch lange nicht aussortiert. Während der Autor mit der Technik des UniCom eigentlich nur das Umfeld der angesprochenen Problemstellungen spinnt, zeichnet er mit der Figur des Pan aus meiner Sicht den eigentlichen Konflikt. Der zunehmenden Perfektionierung des Menschen durch die Implantation eines technischen Gerätes versucht er etwas entgegenzustellen. Er nutzt die Figur des Pan, die teils als wollüstig aber auch unberechenbar gilt. Gerdae die Assoziationen mit allem Menschlichen und der Natur sind in diesem Buch als codierter Kontrast in der Erscheinung des Pan vereint.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, das Benjamin Stein in seinem Roman einerseits eine utopische Technik in die Gesellschaft eindringen und sie umkrempeln lässt. Dem versucht er einen Kontrapunkt, nämlich menschliche Schwäche und Imperfektion zu geben. Während durch die Replay Technik die Steuerung der Erinnerung und Träume eigentlich in der Hand des Menschen liegen sollte wird durch die Erscheinungen diese scheinbare Macht zerstört. Gerade die mit dem vor Augen führen von menschlichen Schwächen und Problemen in der sozialen Interaktion sollen einen bewussten Gegensatz zur scheinbaren Technikperfektion bilden.
Betrachtet man diese Aspekte muss man dem Autor bescheinigen, dass ihm ein eindrucksvolles Werk gelungen ist. Er hat es geschafft die aktuellen gesellschaftlichen Themen aufzugreifen und durch seine literarische Abstraktion und Verdichtung zugänglich zu machen. Durch die utopische Überhöhung wird das Thema plastischer und verständlicher, als es Interessenverbände und Internetaktivisten, gleichwohl einige gut waren, je kommunizieren konnten.

Für alle, die bei den Diskussionen um die Macht von Konzernen wie Google oder Apple, der Vorratsdatenspeicherung oder der Post Privacy Debatte interessiert dabei sind, sollte dieses Buch zur Pflichtlektüre gehören. Allerdings denke ich, dass gerade all jene, die bei diesen Diskussionen gern gelangweilt abschalten, den Versuch unternehmen sollten sich mit Hilfe dieses Buches anzunähern. In kurzen, gut ausgebildeten Szenen beleuchtet Benjamin Stein in seinem Roman Fragestellungen der Mensch-Technik Beziehung und liefert damit ein gleichsam spannendes wie diskussionswürdiges Buch ab. Aus diesem Grund ist mein ganz klarer Tipp, dass Replay ein wichtiges Buch im Verlauf dieses Jahres wird.

Im übrigen hat der Autor bereits mit Unterstützung die Idee eines Trailers zum Film umgesetzt, welcher zum Verkaufsstart am 20.01.2012 online erscheinen soll.

Benjamin Stein

„Replay“

176 Seiten

C.H. Beck Verlag, 2012 (erscheint am 20.01.)

ISBN:  978-3-406-63005-7


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