Bruce Willis sollte Jungväter meiden

Ich erinnere mich noch. Mein großer Bruder musste das noch machen. Gewissensprüfung. Kriegsdienstverweigerer. „Also stellen Sie sich vor, Sie laufen mit Ihrer Freundin durch den Wald und haben ein Messer in der Tasche. Plötzlich kommt ein maskierter Mann aus dem Gebüsch und greift nach Ihrer Freundin. Was machen Sie?“ Ich glaube, die richtige Antwort war irgendwie ein Mischmasch aus „Habe nie ein Messer dabei“ und „Bin wie blockiert, weil ich aus Gewissensnot nicht weiß, was ich machen soll“. Und nur die, die sich saublöd anstellten, mussten hinterher Wache schieben und durften nicht Popos abwischen. Letzteres war im Übrigen eine viel bessere Übung für das weitere Leben, aber das soll heute nicht mein Thema sein.

Unterstellt, die Herren von den Kreiswehrersatzämtern wollten so viele als möglich unter den Helm bekommen, war die Frage seinerzeit falsch gestellt: Um die verborgene Aggressivität herauszukitzeln, bietet sich eine Frage in der Konstellation Eltern – Neugeborenes viel mehr an. Da geht es auch ganz ohne Messer. Wenn mann und frau so überwältigt sind von dem neu geborenen Glück, so entdecken die neu gebackenen mamas und papas auch ganz neue Wesenszüge an sich. It’s in the genes. Der Beschützerinstinkt ist einer, der auf 150% gefahren wird.

So merkte ich das an mir: Ich halte mich eigentlich für einen friedliebenden Menschen. Und zu meinem Leidwesen beschränkt sich auch meine Ähnlichkeit mit Bruce Willis auf eine ungefähr gleich große Anzahl an Haupthaaren. Meine Lebensweisheiten rangieren eher im Bereich „Fünfe mal grade sein lassen“, „Der Klügere gibt…“, Sie verstehen. Aber in diesen ersten Wochen, wenn das „wir“ von zwei auf drei umschlägt, sollte uns Jungvätern auch der echte Bruce Willis lieber aus dem Wege gehen.

In diesen Zeiten ist jeder Baum potenziell gefährlich. Denn es könnte ja ein Blatt sacht in den Kinderwagen segeln. Ganz zu schweigen, dass unser schönster Spazierweg eine Kastanienallee war. Frühherbst. Hier konnten wir lange nicht mehr lustwandeln. Taktischer Rückzug.

Aber manche Wege muss man gehen. Zum Beispiel raus aus dem Haus, durch den Vorgarten, rein ins Auto. Solche ungeschützten Strecken sollten mit dem Baby am besten mit beiden Eltern zurückgelegt werden. Auch wenn Sie nicht beim Bund waren. Vorhut, Nachhut. So viel Clausewitz haben wir alle im Blut. Jedenfalls war ich Vorhut. Der Weg schien frei zu sein. Kein Wind, kein morscher Ast, keine Vögel im Anflug, die Bodenplatten unauffällig. Nichts, worauf frau (mit Baby im Arm!) eventuell ausrutschen könnte. Plötzlich ein sirrendes Geräusch. Vom Nachbargrundstück. Alle Muskeln sind gespannt. Ein Blick und die Lage ist erfasst: Oh nein, der Nachbar stutzt den Rand seines Grüns mit diesem extrem gefährlichen Rasentrimmer. Gefährdungsstufe II für die kleinen, ungeschützten Ohren. Gefährdungsstufe I für die körperliche Unversehrtheit aufgrund extrem schnell umherfliegender Grasteile. Angriff ist die beste Verteidigung. Signal nach hinten: Abwarten, den Schutzraum noch nicht verlassen. Zehn schnelle Schritte (nota bene, es war das Nachbargrundstück, also ein gutes Stück weg…) und ich baue mich vor dem Nachbarn auf. Mein Blick sagt: „Entwaffnen, sofort!“ Meine Worte sind beherrschter: Er solle doch bitte seinen Rasentrimmer ausschalten, da wir gerade mit dem Neugeborenen aus dem Haus zum Auto laufen wollten.

Mir war in diesem Moment die Ungeheuerlichkeit (oder die ungeheuerliche Lächerlichkeit) meiner Worte nicht bewusst. Meinem Gegenüber vielleicht schon. Aber meine Körpersprache war eindeutig. Hier kommt Bruce. Keine Diskussion. Wortlos drückte er den Ausknopf.

Wir sind dann ein paar Monate später umgezogen. Sonst würde ich jedes Mal vor Scham rot anlaufen, wenn ich diesen Nachbarn anträfe.

erschienen gekürzt in Flummi – das Familienmagazin für Wiesbaden, Mainz & drum herum


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