Berlin: Solidarität mit der Liebig14

Berlin: Solidarität mit der Liebig14Die geplante Räumung der Liebigstraße 14 beschäftigt nicht nur die Lokalpresse seit Tagen, sondern hat ein breites Echo der Kritik und Unterstützung hervorgerufen. Hier eine kleine und unvollständige Übersicht zu den vielfältigen Stellungnahmen, die weit über einen linksradikalen Unterstützerkreis hinausgehen:

  • Liebig14: Antiräumungsinfos für den 2. Februar (Informationen)
  • Wir Bleiben Alle!: Lasst es krachen lasst es knallen… (Aufruf)
  • unbekannt: Der Wut das Unverständliche nehmen (Stellungnahme)
  • Annalist: Lieber rot-roter Senat,… (Blogbeitrag)
  • Hans Christian Ströbele: „Das ist schon pervers“ (Interview in der Berliner Zeitung)
  • Paul Linke: Meine Nachbarn, die Revolutionäre (Artikel im Magazin der Berliner Zeitung)
  • Andrej Holm: „Der ökonomische Druck hat stark zugenommen“ (Interview in der Berliner Zeitung, siehe unten)

Das Interview in der Berliner Zeitung führte Jan Thomsen:

Der ökonomische Druck hat stark zugenommen

Herr Holm, wofür steht der Konflikt um die Liebigstraße 14? Ist das ein veritabler Kampf gegen die Verdrängung ärmerer Schichten oder wollen hier nur ein paar Faulenzer günstige Wohnungen abgreifen?

Es geht ganz klassisch darum, dass Leute mit weniger Geld in attraktiven Wohnlagen in Konflikt geraten mit den Verwertungsinteressen der Eigentümer. Dafür gibt es tausendfach Beispiele gerade im Osten Berlins. Der ökonomische Druck hat in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen. Ungewöhnlich ist in der Liebigstraße 14 nur das Maß des Widerstands und die Öffentlichkeit. Das Interesse der Eigentümer trifft hier auf eine Bewohnerschaft, die sich zu organisieren weiß.

Handelt sich nicht vielmehr um einen öffentlichen Erpressungsversuch? Der Eigentümer soll – letztlich auch mit Gewaltandrohung – um sein gerichtlich bestätigtes Recht gebracht werden.

Man darf dabei die Vorgeschichte nicht einfach weglassen: Das Haus wurde vor 20 Jahren besetzt, als Staat und Wohnungswirtschaft nicht in der Lage waren, es zu retten. Und wenn junge Menschen Wohnraum überhaupt erst wieder nutzbar machen, dann haben sie sich auch einen legitimen Anspruch auf weitere Nutzung erworben. Es stellt sich doch die Frage, wie stark die Dominanz ökonomischer Prinzipien beim existenziellen Thema Wohnen eigentlich sein soll. Es geht im Kern darum, ob auch ärmere Schichten mit teils alternativen Lebensentwürfen das Recht und die Gelegenheit haben sollen, in der Innenstadt zu wohnen. Diese Debatte hat enorme gesellschaftliche Sprengkraft.

Die Bewohner haben sich geweigert, den Kiez zu verlassen. Sie versuchen doch nicht ganz ohne Dreistigkeit, Sonderrechte durchzusetzen.

Dass die Vertreter einer Subkultur gerne dort bleiben, wo diese Subkultur aktiv ist, ist verständlich. Jeder möchte in einem Umfeld leben, das zu ihm passt.

Aber ich kann doch auch nicht fordern, sofort her mit neun Zimmern Dachgeschoss am Kudamm, sonst fühle ich mich irgendwie unwohl und muss Autos anzünden.

Das hat ja auch niemand gefordert. Ich meine, auch die Hauseigentümer müssen sich fragen lassen, warum sie trotz Angeboten keine andere Immobilie nehmen. Sie sind doch, was den Ort angeht, wesentlich flexibler mit ihren Investitionsvorhaben.

Tobt in Berlin der Aufwertungsprozess, die „Gentrifizierung“ kompletter Quartiere, härter als anderswo?

Anders als noch vor zehn Jahren gibt es kaum noch günstigen Wohnraum in der Innenstadt. Es gibt keinen adäquaten Ersatz und daher auch keine schnelle, einfache Lösung solcher Konflikte.

Erklärt das die Eskalation?

Häuser wie die Liebigstraße 14 sind mehr als ein Symbol für die entsprechende Szene. Es geht tatsächlich um die existenzielle Frage, wo bestimmte Leute überhaupt noch Wohnraum finden.

Wohin führt denn die Aufwertung auf Dauer? Zur gepflegten Langeweile im Bionade-Biotop?

Da gibt es keine objektive Bewertung. Wer vor mehr als zehn Jahren in Prenzlauer Berg die Clubkultur mit aufgebaut hat, wendet sich heute enttäuscht ab. Aber wer dort jetzt sein Kleinfamilienglück genießen will, findet alles wunderbar und passend. Auf jeden Fall ändert sich die soziale Mischung radikal: Menschen mit alternativen Lebensstilen und die einkommensschwachen Schichten werden an den Rand gedrängt.

Städte verändern sich doch permanent. Gerade die jetzt so beliebten Gründerzeitviertel haben einige Aufs und Abs erlebt.

Der Trend in Großstädten wie London und Paris ist allerdings eindeutig. Die ökonomische Potenz konzentriert sich in der Innenstadt, die sozial Schwächeren wandern ab. Berlin wird ja wegen seiner immer noch relativ durchmischten Struktur sogar beneidet. Die Politik muss die Frage beantworten, wie viel ihr diese Mischung wert ist.

In Berlin steht zumindest bei SPD, Linkspartei und Grünen aktive soziale Wohnungspolitik wieder ganz groß in den Wahlprogrammen.

Das ist ein Politikwechsel, den ich sehr begrüße. Es mangelt allerdings nicht an Ankündigungen, sondern an konkreter Umsetzung. Öffentlich finanzierte Sanierungsprogramme, sozialer Wohnungsbau in Aufwertungsgebieten und Mietenpolitik über die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften wären die Instrumente dafür. Und ich hoffe immer noch, dass die Liebigstraße 14 das erste Beispiel dafür werden kann, wo die Politik ihr Engagement unter Beweis stellt.



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