Berlin: Neubau nur für Reiche

Berlin: Neubau nur für Reiche

Jetzt wird's noch teuer! Steigende Neubauzahlen in teuren Lagen.

Zwei meiner Lieblingswebseiten und eine E-Mail haben heute den gesamten Berliner Wohnungswahnsinn auf den Punkt gebracht:

Das MieterEcho verweist auf Pressemitteilungen des Amtes für Statistik zu steigenden Bevölkerungszahlen (+18.000 Einwohner/innen) und einer fast stagnierenden Neubautätigkeit (+4.243 Wohnungen) für 2010

Der Sozialrechtsexperte zitiert die Berliner Morgenpost mit der Meldung, dass innerhalb eines Jahres 2.000 Hartz-IV-Empfänger/innen mehr nach Spandau, Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf umgezogen sind, als von dort in die Jobcenter anderer Bezirke gewechselt haben.

Eine weitergeleitete Werbemail des Luxuswohnprojektes Fellini Residence lädt mich für morgen (14.07.2011) 14 Uhr zum ersten Spatenstich des exklusiven Neubauprojektes in die Kommandantenstraße 69 (Berlin Mitte) ein.

Kurz zusammengefasst: Das steigende Missverhältnis von Bevölkerungsentwicklung und Neubauaktivitäten lässt die Mieten in den Innestadtbezirken steigen, so dass ärmere Haushalte in die Randgebiete der Stadt verdrängt werden. Wohnungsbau findet, wenn überhaupt, überwiegend im innerstädtischen Hochpreissegment statt und verstärkt so den Verdrängungsdruck in den Aufwertungsgebieten.

Wie meist lohnt sich ein genauerer Blick auf die Fakten.

Lässt der stagnierende Neubau die Mieten steigen?

Die vom Statistischen Amt vermeldeten Bevölkerungsgewinne (+18.000 Einwohner/innen) für das vergangene Jahr (2010) stehen für einen Trend: bereits seit 2005 sind jährlich Bevölkerungszuwächse in etwa dieser Größenordnung zu verzeichnen.

Berlin: Neubau nur für Reiche

Ein Blick auf die Entwicklung der Baufertigstellungen im selben Zeitraum verdeutlicht die drastische Diskrepanz: Den erstmals seit 1993 steigenden Bevölkerungszahlen stehen die niedrigsten Neubauaktivitäten der letzten zwanzig Jahre gegenüber. Unter Berücksichtigung des fortlaufenden Anstiegs von Haushalten (immer mehr Einpersonenhaushalte) dramatisiert sich dieses Ungleichgewicht noch weiter.

Berlin: Neubau nur für Reiche

In vielen Diskussionen werden die steigenden Mieten in Berlin auf diese Verengung des Wohnungsangebotes zurückgeführt. Auf den Gesamtwohnungsmarkt bezogen, wohnt dieser Argumentation eine überzeugende Logik inne: Steigende Nachfrage bei stagnierendem Angebot verwandelt Wohnungen in eine knappes Gut und lässt die Preise steigen. Soweit der Basiskurs in VWL. Doch ein Blick auf die regionale Verteilung von Mietentwicklungen und Neubauaktivitäten eröffnet eine zusätzliche Perspektive.

Aufgerechnet in den innerstädtischen Aufwertungsgebieten (Mitte, Friedrichshain Prenzlauer Berg) – also dort wo die höchsten Mietsteigerungen realisiert werden konnten – sind auch die Neubauaktivitäten am höchsten. In Ermangelung kleinteiligerer Daten für die letzten Jahre, hier eine Übersicht der Baufertigstellungen in den Bezirken, Mitte, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg.

Berlin: Neubau nur für Reiche

Zu sehen ist deutlich, dass die drei benannten Aufwertungsbezirken zu den klaren „Neubau-Gewinnern“ gehören. Das zeigt sich sowohl in den absoluten Zahlen und noch deutlicher im relationalen Verhältnis zum Bauvolumen in der Gesamtstadt. War es in den Jahren zuvor jeweils nur jede vierte Wohnung, die in den drei Bezirken gebaut wurde, hat sich dieser Anteil 2010 auf deutlich mehr als die Hälfte vergrößert. Ein erheblicher Anteil der Neubauten wird also in den sowieso schon hochpreisigen Nachbarschaften errichtet und trägt dort zur relativen Verknappung preiswerter Wohnbestände bei.

Gilt für die Gesamtstadt möglicherweise die Rechnung: Wenig Neubau – steigende Mieten; kehrt sich dieser Zusammenhang mit Blick auf die Innenstadt um: Steigende Mieten – mehr Neubauten. Kein Wunder also, dass die Hartz-IV-Haushalte an den Stadtrand gedrängt werden. Die hohen Mieten hier sind nicht Folge von wohnungswirtschaftlicher Inaktivität, sondern Voraussetzung für Investitionen in den Neubaubereich. Gerade weil die Mieten stark gestiegen sind und die Lücke zwischen hohen Bestandmieten und etwas höheren Neubaukosten verringert wurde,  sind immer mehr Besserverdienende überhaupt bereit, in Neubauwohnungen zu ziehen.

Was tun?

Der MieterGemeinschaft ist grundsätzlich zuzustimmen, wenn sie feststellt:

Der Berliner Senat aus SPD und DIE LINKE hat es also geschafft, Berlin immer weiter in eine Wohnungsnot zu manövrieren, und dies aus stumpfer Untätigkeit heraus. Statt den Bedarf an einer effektiven Förderung des Wohnungsneubaus zu diskutieren, wird die offensichtliche Problemlage jedoch weiter bestritten.

Diese Betrachtung der bezirklichen Verteilung von Neubauten zeigt darüber hinaus: Es kann in den wohnungspolitischen Forderungen nicht nur um einen Neubau an sich und irgendwo gehen, sondern um einen preiswerten (also geförderten?) Neubau in den (auch innerstädtischen) Bedarfslagen. Es wäre zu wünschen, dass die Mieterorganisationen mit ihren Forderungen für einer „effektive Förderung des Wohnungsneubaus“ genau das meinen. Konkrete Überlegungen wo und zu welchen Preise denn die 60.000 vom BBU geforderten Wohnungen gebaut werden sollen, sind leider nicht nur bei den politischen Parteien Mangelware.

Neben dem oben formulierten Politikversagen finde ich für die Perspektiven einer anderen Stadtpolitik das in der Neubaufrage sichtbare Marktversagen fast noch wichtiger. Wenn die Einschätzungen stimmen – und vieles spricht ja dafür – dass wir es in den vergangenen Jahren in Berlin mit einer marktliberalen (weil kaum vorhandenen) Wohnungspolitik zu tun hatten, warum eigentlich war dann der Wohnungsmarkt bisher nicht in der Lage, die steigende Bedarfe zu füllen? An staatlichen Restriktionen kann es nicht gelegen haben, dass kaum gebaut wurde.

Die Misere des Berliner Wohnungsmarktes – die auf Politik- und Marktversagen gleichermaßen zurückzuführen ist – müsste eigentlich eine Debatte um andere Trägermodelle des Wohnungsbaus auf den Plan rufen.  In den vielstimmigen Forderungen nach Förderprogrammen und Bauaktivitäten der großen Wohnungsunternehmen geht ein bisschen unter, dass es in der Vergangenheit durchaus berechtigte Kritik an den alten Förderprogrammen und der Bewirtschaftungspraxis großer Wohnungsunternehmen gab…

Es gibt da keine ausgearbeiteten Lösungen und allenfalls ein paar Piloterfahrungen in wohnungswirtschaftlichen Nischen von selbstverwalteten Hausprojekten und Genossenschaften. Ob und wie diese auf den zahlenmäßig großen Maßstab des Berliner Neubaubedarfs gehoben werden können, sollte diskutiert werden – dann wäre die Krise eine echte Chance. Jetzt erneut Förderlinien zur Deckung der unrentierlichen Kosten privater Eigentümer auf die Tagesordnung zu setzen, wird auch wieder nur eine temporäre Lösung bringen.

Da die bebaubaren Grundstücke in der Stadt – erst recht in den Innenstadtbereichen mit dem höchsten Verdrängungsdruck – nur in begrenzter Zahl zur Verfügung stehen, wird eine wohnungspolitische Debatte nicht um die Boden- und Grundstücksfrage herum kommen. Jetzt in Schnellschüssen für die Wohnungsmarktversager der Vergangenheit Förderprogramme zu fordern, kann langfristig auch nach hinten losgehen.

Die drohende Wohnungsnot in Berlin produziert einen enormen Handlungsdruck – noch größer jedoch erscheint mir die Notwendigkeit, Alternativen zum marktkonformen  Wir-Brauchen-Mehr-Neubau zu diskutieren. Ein Gelegenheit dazu gibt es vielleicht auf der folgenden Veranstaltung:

Team11: Günstig wohnen in Berlin – besondere Lösungen
Mittwoch, der 7. September, 18:00 Uhr
Radialsystem, Holzmarktstr. 33

In der Ankündigung heißt es:

Bezahlbarer Wohnraum ist für Berlin essentiell. Der Druck auf die Mieten steigt spürbar – neue Lösungen sind gefragt.

Berlin muss eine soziale, verantwortungsvolle Mietpolitik sicher stellen, auch innerhalb der eingeengten Handlungsmöglichkeiten des Berliner Haushalts.

In drei Kurzvorträgen stellt Team11 spezifische Entwicklungsansätze für unterschiedliche Grundstücke in Berlins Zentrum vor. Die Fokussierung liegt hierbei auf dem Rohstoff ‘Grundstück’, egal ob bebaut oder unbebaut. Wie geht man mit dieser knapp werdenden Ressource bestmöglich um?



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