Barbara Yelin: Irmina. Graphic Novel

Barbar Yelin: Irmina. Seite 192/193: Brennende Synagoge. (Copyright Reprodukt / Barbara Yelin)

Barbar Yelin: Irmina. Seite 192/193: Brennende Synagoge. (Copyright Reprodukt / Barbara Yelin)

Umfangreiche Graphic Novels üben auf mich eine besondere Anziehungskraft aus. Allein schon die immense zeichnerische Leistung, die hinter den Hunderten von Panels steckt, beeindruckt. Wenn so ein Werk dann auch noch stilistisch überzeugt, muss es in meine Sammlung. Barbara Yelins Comicroman „Irmina“ musste ich also kaufen, denn er ist wirklich ein Meisterwerk.

Souverän gezeichnet

Yelins vor einigen Jahren erschienene, wesentlich kürzere Graphic Novel „Gift“ hat mich ja schon begeistert. „Irmina“ ist noch besser gezeichnet, scheint mir: souverän vereinfachende und dennoch realistische Zeichnungen, großzügig mit Deckfarbe koloriert, und zwar vorwiegend in Grautönen, die durch blasse Hautfarbe und einzelne andere Farbakzente ergänzt werden. Die Panels sind ziemlich abwechslungsreich gestaltet, indem unterschiedliche Größen und Perspektiven einander abwechseln. Optische Höhepunkte sind die gelegentlichen doppelseitigen Bilder, so zum Beispiel jenes einer brennenden Synagoge mit zusehender Menschenmenge auf den Seiten 192-193.

Damit sind wir auch schon beim Inhalt:

Erzählt werden drei wesentliche Abschnitte aus der Lebensgeschichte der Deutschen Irmina.

In England 1934

Teil 1: Im Jahr 1934 versucht die junge Irmina, die in Deutschland die Schule abgebrochen hat, in England, wohin sie sich durchgeschlagen hat, als Fremdsprachensekretärin Fuß zu fassen. Sie will ein selbstbestimmtes Leben führen, und mit Politik, erst recht mit jener der gerade an die Macht gekommenen Nazis, hat sie wenig am Hut. Sie freundet sich mit einem „Schwarzen“ an, den sie bei einem Fest kennengelernt hat. Er stammt aus Barbados, studiert in Oxford und heißt Howard. Ihn beeindruckt, wie Irmina unerschrocken gegen jede Diskriminierung, etwa, wenn im Kino ein Engländer sich nicht neben einen „Darky“ setzen will, auftritt. Die beiden verlieben, ja verloben sich. Das Problem ist nur: Irmina verdient nicht genug, um sich eine eigene Wohnung in England leisten zu können. Da ihre großzügigen Quartiergeber keinen Platz mehr für sie haben, muss sie – schweren Herzens und mit dem Versprechen, so bald wie möglich zu Howard nach England zurückzukehren – nach Deutschland zurückkehren.

In Deutschland während NS-Zeit

Den größten Teil des Buches umfasst der nun folgende Teil 2, der in Deutschland spielt. Irmina muss sich an ihrem neuen Arbeitsplatz, der zu schlecht bezahlt ist, als dass sich ein England-Ticket ausginge, sexuelle Belästigungen gefallen lassen, hofft aber auf eine Versetzung an die englische Botschaft. Als daraus nichts wird, pumpt sie sich kurzerhand von einer Freundin das Geld für die Überfahrt. Schon hat sie die Fahrkarte in der Hand, da kommt ihr letzter Brief an Howard zurück: Adressat  verzogen, Adresse unbekannt. Irmina verzweifelt. Fährt nicht nach England. Stattdessen gibt sie dem Liebeswerben Gregors, eines jungen SS-Offiziers, nach, erliegt schrittweise der Nazi-Propaganda, zieht in ein arisiertes Haus ein, bekommt Kinder, führt das Leben einer braven deutschen Mutter und Hausfrau. Von den Nazi-Gräueln will sie nichts wissen. Ihr Mann schickt sie gegen Kriegsende aufs Land, wo es sicherer ist. EinesTages radelt der Postbote mit einem Telegramm daher: Gregor ist gefallen.

Deutschland / Barbados 1983

Der dritte Teil spielt 1983: Irmina ist seit Jahrzehnten Sekretärin einer Gesamtschule, sie ist die rechte Hand des Direktors und führt das Leben einer alten Jungfer. Eines Tages erhält sie einen Brief aus Barbados. Vom Assistenten des Generalgouverneurs. Dieser habe ihn beauftragt, sie ausfindig zu machen. Wer ist der Gouverneur? Howard! Auch er inzwischen verheiratet, mit Frau und erwachsener Tochter. Und diese heißt Irmina und will zu ihrem Geburtstag jene legendäre Deutsche kenne lernen, nach der sie benannt ist und die einst so mutig gegen Rassendiskriminierung aufgetreten ist. Irmina wird nach Barbados eingeladen, fliegt hin, lebt zwei Wochen im Luxus und lernt beim Geburtstagsfest die schöne Sängerin Irmina kennen.

Am letzten Abend kommt es zur Aussprache mit Howard. Sie erinnern sie an die Vergangenheit. Irmina erzählt vom schon gekauften Ticket nach England und vom zurückgekommenen Brief. Howard sieht sie noch immer als die mutige Deutsche, und Irmina muss sich eingestehen, dass dieses Bild nicht stimmt. Voller Trauer schaut sie auf ihr Leben, in dem sie ihren Idealen, ja, sich selbst untreu geworden ist, zurück und sagt: „Howard, ich war nicht … ich WAR nicht die mutige Irmina … Kannst du mir das …“ (S. 266).

Überzeugende Darstellung

Barbara Yelin gelingt es, ein sehr authentisch wirkendes Bild der düsteren Vergangenheit zu zeichnen, im wörtlich wie im übertragenen Sinn. Denn nicht nur die Bilder mit ihren vielen atmosphärischen Details, auch die Handlung und der Text wirken unglaublich “echt”. Ich denke, dass dahinter viel Recherche-Arbeit steckt, die sich bezahlt gemacht hat.

Inspirierender Fund

Ein Nachwort von Alexander Kirb, Professor für Geschichte an der University of Leicester, beleuchtet die Situation der Mitläufer und Mitläuferinnen in der NS-Zeit, wie Irmina eine war. Barbara Yelin sagt in einer Vorbemerkung: „Vor einigen Jahren fand ich im Nachlass meiner Großmutter einen Karton mit Tagebüchern und Briefen. Dieser Fund hat mich zu dem vorliegenden Comicroman inspiriert.“

Maschinerie des Bösen

Ein erschütterndes Buch, weil es zeigt, wie Menschen, statt das Gute zu tun, der Maschinerie des Bösen unterliegen. Und man kann nicht mit dem verurteilenden Finger auf Irmina zeigen, sondern muss befürchten, dass es einem selbst in einer ähnlichen Lage vielleicht nicht anders ergangen wäre. Die Last des Versagens läge dann für den Rest des Lebens auf einem, und man ginge mit eingezogenem Kopf und gebeugtem Rücken – wie Irmina im letzten Bild – in den tristen Alltag hinein.

Barbara Yelin: Irmina. Reprodukt,, Berlin 2014. 283 Seiten.

Bild: Brennende Synagoge. Seite 192/193 aus Barbara Yelin: Irmina (mit freundlicher Genehmigung des Reprodukt Verlags).


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