Bad Times For Imperialism

Allem Anschein nach vollzieht die Türkei gerade ein Kehrtwende von West nach Ost. Sollte dies eintreten, wären den Weltmachtsplänen Amerikanischer als auch Europäischer Eliten ein Riegel vorgeschoben

Nachdem sich der Nebel rund um den Putschversuch in der Türkei etwas gelegt hat, fördern die ersten Analysen Erstaunliches zu Tage. So wie es scheint, war der fehlgeschlagene Putsch nicht nur für Teile des türkischen Militär ein Desaster, sondern vor allem für die US- Außenpolitik. Begonnen hatte diese Entwicklung bereits mit dem Abschuss der russischen SU-24 durch eine türkische Rakete im vergangenen November. Dies war ein wichtiger Erfolg für die CIA, weil nun eine dauerhafte Eiszeit zwischen Russland und der Türkei sicher zementiert schien. Dachten sie. Aber dann entschuldigte sich Erdogan am 27. Juni bei den Russen für den Abschuss der Maschine, um die verfahrenen Beziehungen zu seinem nördlichen Nachbarn wieder in ruhigeres Fahrwasser zu steuern. Noch einen Tag zuvor hatte er eine Entschuldigung verweigert. Dann jedoch verkündete er überraschend:

    „Ich möchte ein weiteres Mal mein Mitgefühl und mein Beileid an die Familie des verstorbenen russischen Piloten aussprechen, es tut mir leid. Von ganzem Herzen teile ich ihren Schmerz. Wir trauern mit der Familie des russischen Piloten wie mit einer türkischen Familie. Um die Schmerzen und den Schaden zu lindern, sind wir für jede Initiative bereit."

Reserviert, jedoch nicht ohne Erleichterung, nahm der Kreml die Entschuldigung an und sandte seinerseits vorsichtige Signale zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen an die Türkei. Gut zweieinhalb Wochen später, am 15. Juli, begann der Putschversuch, der jedoch zum Scheitern verurteilt war. Der Grund hierfür war neben mangelndem Rückhalt in der Bevölkerung ein weiterer, wichtiger Punkt, nämlich die Russen. Einer der kommandierenden Putschisten, offenbar nicht der Hellsten einer, hatte über Funk Anweisungen an mehrere Helikopterbesatzungen zur Festsetzung oder Beseitigung Erdogans erteilt, als dieser noch in Marmaris in einem Ferienhotel weilte. Dass die Russen diesen Funkspruch abfangen würden, war klar. Nicht jedoch, dass sie umgehend eine Warnung an Erdogan herausgeben würden, so dass dieser fünf Stunden vor Beginn des Putsches bereits im Bilde war. Dies wiederum kam den Putschisten zu Ohren, die daher den Angriff um drei Stunden vorverlegten, was ebenfalls zum Scheitern des Putsches beitrug. Anschließend erst informierten die Russen, quasi der Vollständigkeit halber, auch noch an die Amerikaner.

Im Ergebnis ist dies für die Amerikaner eine mittlere bis schwere Katastrophe. Denn Erdogan geht natürlich davon aus, dass die CIA die Finger im Spiel haben musste, da die zeitliche Überschneidung von seiner Entschuldigung an den Kreml und dem Putschversuch einfach unübersehbar ist. Zudem muss er davon ausgehen, dass die Amerikaner dank ihrer Aufklärungstechnik ebenfalls von dem geplanten Putsch gewusst haben müssen, ihn jedoch, anders als die Russen, nicht informierten. Und damit hat der brüskierte, türkische Staatschef allen Grund, sich von den Amerikanern abzuwenden, was er auch bereits tut, indem er Europa die kalte Schulter zeigt. Damit gerät das strategische Gefüge der US- Strategen empfindlich durcheinander. Ohne die Türkei als Brückenkopf im Nahen Osten wird es für die USA mehr oder weniger unmöglich sein, ihren Einfluss in der umkämpften Region weiter auszubauen. Stattdessen gestalten sich die Lufteinsätze der NATO über syrischem Gebiet zusehends schwieriger, da die NATO Air Base in Incirlik seither ohne Strom von außen arbeiten muss. Erdogan hat den Amerikanern und Deutschen einfach den Saft abgedreht. Während also zwischen der Türkei und Russland erneut erste zarte Triebe der Partnerschaft zu sprießen beginnen, scheint es, als würden jene Ranken, die in der Westen führen, zusehends verdorren.

Das ergibt sich bereits aus der Entmachtung des Justizapparates in der Türkei und der Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe. Derartige Avancen sind einfach nicht kompatibel mit dem vergeheuchelten Wertekanon westlicher Kultur. An dieser Stelle wird es spannend. Auch wenn Frau Merkel mit einiger Wahrscheinlichkeit die antidemokratischen Entwicklungen in der Türkei vornehm ignorieren wird, um ihren Flüchtlingsdeal mit Erdogan nicht zu gefährden, wird sie dennoch nicht verhindern können, dass die Türkei zusehends mit der entstehenden Eurasischen Union und der Shanghai Organisation for Corporation (SOC) sympathisiert. Denn nachdem Erdogan endgültig realisiert hatte, dass sein Land niemals in die EU aufgenommen werden würde, wäre er ein Vollidiot, wenn er nicht nach verlockenderen Gelegenheiten für die Türkei Ausschau hielte, anstatt weiterhin auf eine Mitgliedschaft in der gerade zerfallenden und bankrotten Europäischen Union zu hoffen. Allerdings wird Putin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorher zur bedingungslosen Voraussetzung machen, dass Erdogan seine bisherige Politik dem Daesh gegenüber neu überdenkt, die Türkisch-Syrische Grenze dicht macht und die Unterstützung für die Terroristen einstellt. Dies würde dem Frieden in Syrien eine echte Chance verleihen.

Diese Einschätzung teilt auch der französische Journalist François Ernenwein, der am 27. Juli in der Zeitung La Croix schrieb:

    „Wenn die Kluft zu den Europäern sich weiter vertieft, wird es mehr als einen Verlierer geben. Die Türkei hat in den Kriegen, die sich an ihren Grenzen zu Syrien und zum Irak ausbreiten, eine wichtige - wenn auch teils unklare - Rolle gespielt. Wenn das Land weiter in dieser rückläufigen Entwicklung versinkt, kann es kaum mehr als Brücke zwischen Orient und Okzident fungieren. Dies betrifft insbesondere den militärischen Bereich und den [Nato-]Luftwaffenstützpunkt İncirlik. Die Russen schicken sich bereits an - trotz der jüngsten Spannungen zwischen beiden Ländern - die Lücke zu füllen. Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan treffen sich Anfang August in Moskau. Wer sich so sehr ähnelt, könnte sich schließlich zusammenschließen."

Was Erdogan zum Beispiel überhaupt nicht gefällt, ist die amerikanische Unterstützung für die kurdische YPG. Möglicherweise vermutet er daher, das sein Kontrahent in den USA, der Prediger Fetullah Gülen, in die Vorgänge verwickelt sein könnte. Gülen hat bekanntermaßen Verbindungen zum amerikanischen Geheimdienst. Interessant ist auch, dass deutsche Medien den missglückten Putschversuch bedauern, anstatt diesen zu verurteilen. Angeblich sei der Weg in die Diktatur nun frei für die Türkei, dabei ist das Land bereits seit den Vorfällen rund um Taksimplatz und Gesipark bereits längst als Diktatur identifizierbar.

  • So befürchtet Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, dass die Türkei nun sicher in eine Diktatur abgleite. Unter dem Titelbild zu seinem Kommentar steht als Bildunterschrift: „[...] Der Ausnahmezustand ist der Versuch, das Illegale zu legalisieren und den Weg der Türkei in die Diktatur juristisch zu pflastern."
  • Die zeitung ihrerseits ätzt: „Doch viele Urlauber sind gar nicht erst an die türkische Riviera gekommen. Die Angst vor dem Terror war groß - nach dem Putschversuch[..]"
  • Der Deutschland funk berichtet: „Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat die türkische Regierung für ihr Vorgehen nach dem Putschversuch kritisiert."

Alles deutliche Hinweise darauf, dass unsere journalistischen Hofschranzen dass unerwartete Scheitern ihres Herrn und Meisters aus Washington sehr bedauern und daher in vorauseilendem Gehorsam schnell noch ein wenig Dreck nach der Türkei werfen. Dass sie sich und die Involviertheit Washingtons in den Putschversuch damit öffentlich wahrscheinlich machen, haben die gefallsüchtigen Schreiberlinge offenbar nicht realisiert. Zu verlockend war wohl die Aussicht, vom Herrchen mal gestreichelt zu werden.

Was natürlich nichts daran ändert, dass die äußerst umfangreichen Säuberungen, denen in der Türkei bislang bereits mehr als 60.000 Personen zum Opfer gefallen sind, sehr an die Geschehnisse nach dem Reichstagsbrand und im Zuge des Ermächtigungsgesetzes erinnern. Durch sein faschistisches Durchgreifen verwandelt Erdogan sein Land in ein Angstgefängnis, das Akademiker mittlerweile nicht mehr legal verlassen dürfen. Nachdem Erdogan durch ein freiheitliches, demokratisches Staatssystem an die Macht gelangt ist, versucht er nun die Türe hinter sich für andere zuzuschlagen, indem er eben dieses System beschneidet, wenn nicht gar beseitigt. Dies ist sicherlich ein inakzeptables Verhalten, ändert jedoch nichts daran, dass er gewählt ist. Und als legitimer Staatschef kann er sich eben auch aussuchen, mit wem die Türkei künftig paktieren wird.

Sollte die Türkei sich endgültig der Achse des Widerstandes, bestehend aus China, Russland und dem Iran, anschließen, wäre dies wahrscheinlich der Anfang vom Ende aller imperialistischen Betrebungen des Westens im Nahen Osten. Die Türkei wird sich daher nach anfänglichem Herumscharwenzeln der USA voraussichtlich auf eine gewaltige Menge Druck von außen einstellen müssen, um zu verhindern, dass sie der SOC, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit beitritt. Weniger auf diplomatischen Druck als auf weitere Teroranschläge und geschickte Versuche, das Land durch einen Bürgerkrieg zu destabilisieren. Auch ein Attentat auf Erdogan wäre denkbar. Das Repertoire der US- Außenpolitik ist in diesem Punkt überschaubar. Wer nicht gehorcht, wird bestraft, beispielsweise durch die Strangulierung von Geldflüssen. Wer dann noch nicht gehorcht, wird härter betraft, beispielsweise durch einen Putsch und wer es dann noch nicht begriffen hat, der wird beseitigt, wie seinerzeit Muamar al-Gaddafi und Saddam Hussein. Im Falle Erdogans wird dies schwierig werden, denn die Türkei ist nach wie vor ein NATO- Mitglied und auch wenn die USA der Türkei bereits offen mit einem Ausschluß aus der NATO drohen, wird dies alles andere als leicht sein. Der unfreiwillige Austritt eines NATO- Mitgliedes aus dem Militärbündnis ist, laut dem Experten für Vertragsrecht, dem Rechtsanwalt Ivo Glemser in den Statuten der NATO nicht vorgesehen .

Entschlösse Erdogan sich endgültig zu einer Abkehr vom Westen, würde er dadurch zu einem Gamechanger, der den Verlauf der Ereignisse entscheidend beeinflussen könnte. Gemeinsam mit Russland, China und dem Iran, zu dem die Türkei ohnehin schon des längeren gute diplomatische Beziehungen unterhält. Ein Ende des imperialistischen Wahnsinns würde möglicherweise ein winziges Stückchen näher rücken und Milliarden Menschen könnten aufatmen. Hoffen wir, dass Erdogan den Ball zu fangen vermag, den ihm der Verlauf der Weltgeschichte hier unvermittelt zuwirft.


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