Auf der Suche nach dem rechten Linken

Auf der Suche nach dem rechten Linken

Die Wege der Revolution:
Unergründlich.

Kommen wir mal zu was Romantischem. Zu Herrn Stephan Erdmann. Er hat gut gesprochen vor zwei Wochen. Als er sich »auf die Suche nach einer Linken« begab. Dies ging zu Herzen, wenn man es denn nur am linken Fleck trägt. Es war aber nicht nur romantisch, sondern sehr erbauend. Das Wort »links«, es kam gefühlt in jedem Satz als Substantiv und Adjektiv vor. Wie ein Hallelujah. Da muss man nicht mehr nachdenken, es reicht die Repetitio. Romantisches und Erbauendes sind keine logischen Kategorien. Das Herz ist ein mieser Logiker, es rutscht in den Bauch und wird dann zu so einem Bauchgefühl. Leider hüpft es selten in den Kopf. Im Text des Genannten sind aber leider viele Ungereimtheiten drin, Ungereimtheiten, die man nur stehen lassen kann, wenn man das Ganze als literarische Übung betrachtet, als künstlerische Freiheit, die keiner genauen Prüfung standhalten muss. Phantasie kann ungeprüft gelesen werden, Kritik an der fehlenden Kritik allerdings, tja, da muss man einen prüfenden Blick anwenden.

Fangen wir mit Marx an, dessen »Kapital« laut Autor das Drehbuch dieser Phase der Geschichte sein soll. Das hat was Eschatologisches, wenn man so tut, als habe ein Mann des 19. Jahrhunderts das 21. Jahrhundert schon gekannt. Marx war progressiver Ökonom, er sah die Entwicklungen seiner Zeit und verstieg sich in eine Empirie, die nicht ergebnisoffen angewandt wurde, sondern im Hinblick auf ein Ziel, auf die sozialistische Revolution. Die jedoch blieb in der Form, wie er dachte, dass sie über uns komme, weitestgehend aus. Der Mann war ja kein Nostradamus, er konnte gewisse technische Fortschritte nicht erahnen, Amazon und Facebook, Medialisierung und Mikroprozessoren und vieles andere mehr, kann man bestimmt in einer marxistischen Exegese-Runde zwischen den Zeilen herausdeuten, wenn man nur will und verbissen genug danach stöbert. In der Heiligen Schrift kann man schließlich auch zu jedem Bereich des Lebens etwas finden. Kommt immer darauf an, in welche Richtung der Exeget einzuschlagen gedenkt. Man muss nur Stichworte suchen. Die Dynamiken, die Marx zu sehen glaubte, die haben sich massiv verändert. Und das nicht erst seit gestern. In dieser Beziehung, so scheint mir, kam er nie ganz über das hegelianische Geschichtsbewusstsein hinaus. Was untermauert: Der Mann war auch nur Kind seiner Zeit und eben keine Stimme des 21. Jahrhunderts.
Es ist allerdings richtig, »Das Kapital« ist und bleibt eine Leitlinie für die Kapitalismuskritik, das ist gar keine Frage. Aber ein Drehbuch ist es sicherlich nicht; kein Skript mit starren Dialogen und statischen Szenebildern. Wenn uns die Geschichte des Kapitalismus eines lehrt, dann das: Er ist flexibel, windet sich und jede Krise, in die er taumelt, fängt er - oft mehr schlecht als recht, meist auf Kosten der Wehrlosen - insofern ab, dass er aus dem Trümmern seiner selbst aufsteigt, um sich in Metamorphosen neu zu entfalten.
Wir saßen doch selbst vor einigen Jahren in unseren Sesseln und bloggten allesamt, dass nun, da die Krise manifest wurde, Menschen ihr Haus, ihren Job und ihre sozialen Bindungen verloren, während Banker schwer litten, weil sie ein Jahr auf Boni verzichten mussten ... wir saßen doch alle hier herum und warteten, dass jetzt vielleicht was Neues kommen könne. Das Ende des Kapitalismus, wir sahen es doch ganz deutlich. Wie Marx seinerzeit, der 1848 auch schon voller Tatendrang war, nur um zu sehen: Is nicht! Da beschloss er, die Zeit sei noch nicht reif, sie komme noch. So richtig ist sie nie gekommen, wenn wir ehrlich sind. Das heißt jetzt nicht, dass wir uns mit dem abfinden müssen, was uns dieses System aufhalst. An dieser Stelle, in der unzufriedenen Systemimmanenz, setzt meines Erachtens sinnvolle Kritik an, nicht außerhalb des Systemkomplexes.
Es ist leider auch einer der großen Schwächen des Textes von Erdmann, dass er damit beginnt, links mit progressiv gleichzusetzen - was im übrigen eine gute und richtige Definition ist -, aber einige Zeilen später findet er dann, dass Linke die Überwindung des Systems fordern müssen, wenn sie Linke sein wollen. Fortschritt durch Austritt? Oder praktischer gefragt: Wie genau schreitet man denn fort, wenn man sich aus dem Staub macht?
Wahrscheinlich müssten wir uns genau hier über das einig werden, was »die Linke« zu sein hat. Für die einen ist sie all das, was nicht rechts ist. Andere finden, dass alles, was irgendwie ein guter Ansatz sein könnte, automatisch in die Linke wandert. Emanzipatorische Geschichten zum Beispiel. Aber ich denke, wie ich schon vor Wochen erläutert habe, dass links vor allem eine ökonomische Haltung ist, somit eigentlich ein recht spärliches Betätigungsfeld. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die sich arg links geben und zu antirassistischen Demos laufen oder sich beim CSD engagieren, die aber überhaupt keinen Bezug zu Verteilungsfragen haben, die sich nicht zu Hartz IV äußern, nicht zu Freihandelsabkommen und die sogar glauben, dass die soziale Frage lange überwunden ist, womit jetzt andere Kämpfe, eben die oben genannten, geführt werden müssten. Das ist meines Erachtens allerdings nicht links, es ist ein Lebensgefühl, das sich links angemalt hat, in etwa wie der Che Guevara in einem Werbespot für einen Kleinwagen oder der rote Stern als Accessoire an der Wand einer schnieken Jungbänkerwohnung. Andere die ich kenne, die greifen die soziale Frage auf, kümmern sich aber wenig um die Homophobie im Lande, pflegen keine Meinung zum Feminismus und so weiter. Diese Leute sehe ich aber trotzdem als Linke an, weil sie das Materielle als Meta-Frage akzeptieren. (Das tue ich jedenfalls so lange, wie sie sich nicht abfällig gegenüber diesen Gesellschaftsgruppen äußern und sich ihnen gegenüber liberal geben.) Über die materielle Schiene regelt man viele andere Gesellschaftsfelder gleich mit. Es ist die Wurzel.
Und an dieser Stelle müsste ich erneut die alte Leier zupfen. Revolution und was kommt dann? Wie arrangiert man es, warum wird es dann besser, et cetera, et cetera. Hatten wir doch schon alles. Für mich ist es allerdings Vermessenheit, wenn jemand so tut, als könne man alles, was es schon gibt, einfach so überwinden, wie wenn es nie da gewesen wäre. Man fängt doch nie wirklich neu an, man tut nur so. Im Privaten ist es doch oft nicht so viel anders, wenn die Leute ihren Neuanfang feiern und dann nach einer Weile merken, dass sie aus ihrer Haut gar nicht rauskönnen und dort dann weitermachen, wie sie das Alte beendet haben. Hier hat man realistisch zu sein. Realpolitisch. Das Beste aus dem machen, was da ist. Daran arbeiten, es schleifen, es formen, es reformieren. Für Erdmann ist das schon rechts, aber dann larmoyant darauf hinweisen, dass man Menschen mit seinen Anschauungen als Extremisten und Fundamentalisten beschimpft.

Letzteres halte ich für eine Doppelmoral mit christlicher Vorprägung. Wir sind halt in diesen Gefilden alle christlich vorgestanzt, ob wir wollen oder nicht. Das ist zum Beispiel auch so eine Erkenntnis, die man annehmen muss, mit radikalem Sprech entkommt man seiner Sozialisierung auch nicht. Und so ein bisschen christlich kommt mir Herr Erdmann dann auch zuweilen vor. Er schreibt so viel davon, wie es sein sollte, wie Linke sein sollten und dann moralisiert er, weil sie so nicht sind. Das ist so theologisch, so lutherisch auch. Dazu dieser eschatologische Hang. Wohin soll das führen? Doch nur in eine inneres Konzil, in dem eine innere Stimme das Primat der Unfehlbarkeit predigt. Och bitte, das kommt uns alten Katholiken doch bekannt vor, das hatten wir doch schon. Wer so tickt, der kann einfach nur rechts sein ... War nur Spaß, so verkehrt bist du nicht. Du bist visionärer. Und das braucht man auch. Alles zu seiner Zeit. Achso - und komm doch mal zum Jackpod. Wir müssen reden ...

wallpaper-1019588
Jonas Deichmann und die Challenge 120 – MTP Folge #094
wallpaper-1019588
UNIQLO – Neue Kollektion zu “Kaiju No. 8” vorgestellt
wallpaper-1019588
I Got a Cheat Skill in Another World: Serie jetzt auch bei Amazon vorbestellbar
wallpaper-1019588
Garouden: The Way of the Lone Wolf – Netflix-Anime angekündigt