Angst essen Abendland auf

Das schweizer Minarettverbot ist undemokratisch, gleichheitswidrig und überhaupt rechtsstaatlich hoch problematisch. Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Außer vielleicht: Es ist außerdem eine vollkommen sinnfreie, rein symbolpolitische Maßnahme, die eindrucksvoll aufzeigt, wie anfällig eine Demokratie für die Manipulation durch Emotionen sein kann. Eines nach dem anderen:

Zunächst ist rätselhaft, was man konkret mit dem Verbot erreichen wollte. Radikalisierung ist nicht bekämpfbar, indem man die Rechte der potentiellen Radikalen beschneidet – im Gegenteil, der Prozess beschleunigt sich gemäß der sattsam bekannten Jetzt-erst-recht-Logik. Es heißt, man wolle “ein Zeichen setzen” gegen die “Islamisierung des Islam”. Ja – und dann? Zu welchem Ende? Glaubt man allen Ernstes, so irgendeine positive Entwicklung innerhalb des Islam anstoßen zu können? Oder einer negativen Einhalt gebieten zu können?

Wohl nicht: Der wirkliche Grund für den Erfolg dieser Initiative sind die vielzitierten “Ängste, die man ernst nehmen muss”, die einen kollektiven Beißreflex nach sich ziehen. Solche rein emotional motivierten Mehrheitsentscheide ohne rationales bzw rechtsstaatliches Korrektiv aber sind mit freiem Auge nicht mehr von purer Lynchjustiz unterscheidbar. Vor allem jedoch sind “Ängste” niemals eine taugliche Grundlage für sinnvolle und nachhaltige politische Entscheidungen, die im Interesse aller auf die dauerhafte Sicherung von friedlichen Verhältnissen abzielen müssen. Freilich sollen Ängste ernst genommen werden – indem ihre Ursachen erforscht, ihre eventuelle Berechtigung festgestellt und dann, nach einem öffentlichen Diskussionsprozess, eine informierte Entscheidung gefällt wird. Allzu oft ist mit “ernst nehmen” jedoch etwas anderes gemeint: Sich nämlich die Positionen der Verängstigten zu eigen zu machen und zu ihrer (kurzfristigen) Beruhigung mit ihnen gemeinsam auf ein Feindbild einzuschlagen.

Das ist der modus operandi aller wackeren KulturkriegerInnen: Ängste und Ressentiments ansprechen und sichtbar machen, jedoch nicht etwa, um sie zu rationalisieren, aus der Welt zu räumen oder konstruktive Lösungen zu finden. Unter dem Deckmantel des Verständnisvollen soll die eigene ideologische Agenda befeuert werden. Die bloße Existenz von Ängsten und Spannungen wird zum Beweis für die Unversöhnlichkeit von Werten und Kulturen hochstilisiert, wobei die jeweils eigenen die einzig wahren und die anderen die jedenfalls abzulehnenden sein sollen. Die Schwierigkeit, dem zu entgegenzutreten, liegt darin, dass es diesen grundlegenden Konflikt so ähnlich tatsächlich gibt – er hier aber unzulässig simplifiziert und durch die Kriegsmetapher grotesk verzerrt dargestellt und jeder konstruktiven Lösung entzogen wird. Bis das einmal dekonstruiert ist und mit einer sinnvollen Aufarbeitung begonnen werden kann, ist die Empörungskarawane medial schon weitergezogen. So entsteht nach und nach ein Klima der Verunsicherung.

Hier liegt die Gefahr: Es genügt, dass eine kleine, aber lautstarke radikale Minderheit so lange ihre kruden Thesen trommelt, bis auch Besonnenere von einem vagen, aber dringlichen Angstgefühl beschlichen werden. Unter dem Druck einer Ja/Nein-Entscheidung stimmt man dann doch – wenn auch mit schlechtem Gewissen – mit den Trommlern: Mit dem Verweis auf den wahren Kern ihrer kriegerischen Thesen und diverse andere, durchaus berechtigte Kritikpunkte beteiligt man sich am Erstschlag – und verrät damit gerade die eigenen, liberalen und demokratischen Werte.

Fazit: Wenn man befürchtet, dass die eigenen Wertvorstellungen bedroht sind, dann sollte man sie nicht bei erster Gelegenheit aus dem irrationalen Bedürfnis heraus “ein Zeichen” setzen zu wollen über Bord werfen.


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