88. Zeitschriftenlese

Noch vor drei Jahren hatte die Zeitschrift „BELLA triste“ ein kühnes Heft vorgelegt, das mit akribischen Textanalysen und angriffslustigen Essays den verkümmerten Lyrik-Diskurs wieder in Bewegung brachte. Diese Ansätze sind mittlerweile wieder versickert. Leider hat sich „BELLA triste“ wieder auf den bewährten Weg der literarischen Nachwuchs-Pflege zurückgezogen und weitere Kontroversen gemieden. Die aktuelle Nummer 27 von „BELLA triste“ enthält zum Beispiel ein Dokument poetologischer Ermattung. Dort stellt sich der junge Dichter Herbert Hindringer folgendermaßen vor: „Ich bin schüchterner als Ron Winkler und lauter als Jan Wagner.“ Diese milde selbstironische Sentenz zeigt ein merkwürdiges Selbstverständnis an. Offenbar hat die Generation jener Berliner Dichter um die 35 ein Community-Gefühl entwickelt, ein juveniles „Entre nous“-Bewusstsein, das den Horizont der eigenen poetischen Arbeit genau begrenzt. Fruchtbarer wäre es allemal, sich nicht nur an den Temperamenten der Berliner Community zu messen, sondern an den Bewusstseinsherausforderungen durch die lyrische Moderne und Postmoderne insgesamt. …

Die aufregenden Initialzündungen im Bereich der Jungen Magazine kommen derzeit aber nicht mehr von der „BELLA triste“ oder von der Leipziger „EDIT“, sondern von eigensinnigen Newcomern wie dem Literaturheft „randnummer“, das sich auf Großstadt- und Bewusstseinspoesie konzentriert, dabei aber keineswegs nur die Community-Bedürfnisse bedient. Man kann zwar an nicht wenigen poetischen Exponaten in der zweiten Ausgabe der „randnummer“ den beliebigen Detailrealismus und ihre etwas schwächliche Sprachskepsis monieren. Unstrittig ist den Herausgebern aber mit dem Dossier über die ausgestoßenen und verzweifelten Autoren der sogenannten 80er-Generation aus Rumänien ein großer Fund gelungen. Fast durchweg handelt es sich bei diesen früh verstorbenen Dichtern um poetische Kronzeugen einer umfassenden Desillusionierung angesichts der heil­losen Existenz im Rumänien des Diktators Nikolae Ceausescu. Einen Gedichttitel der mit 47 Jahren verstorbenen Poetin Mariana Marin kann man als pro­grammatische Chiffre lesen. Er lautet: „Verstümmelung des Künstlers als Junger Mensch“. Und von Verstümmelungen, Selbstzerstörungen und Hoffnungslosigkeiten erzählen die Gedichte dieses von Klaus Schneider zusammengestellten Dossiers. Die Protagonisten dieser Gedichte erleben sich als Gefangene einer meta­physischen Finsternis. / Michael Braun, Zeitschriftenlese, Poetenladen

(weitere Munition in dem Beitrag u.a. zu Ingold / Krüger)



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