57. Und wieder: Verstehen

Nach einer anderen Sprache verlangen
die nicht geschriebenen Sätze

Essay von Christiane Kiesow (Greifswald)

Der folgende Text ist eine Reaktion auf Bertram Reineckes Essay „Verstehen noch einmal“  zur Debatte um Ulf Stolterfohts Beitrag1 im Jahrbuch der Lyrik 2008. Wie für seinen Beitrag gilt auch für das Verständnis meines Kommentars, dass man die Debatte mitverfolgt haben sollte (siehe Jahrbücher der Lyrik 2008/2009).

 

Je nachdem, worin man Bertram Reineckes Ziele beim Schreiben des Essays vermutet, kann man ihn als gelungen oder aber ergänzungsbedürftig empfinden. Wenn es sein Anspruch war, die Positionen der nicht eben einheitlichen Reaktionsfront wohlkommentiert zusammenzufassen und an (s)einen Verstehensbegriff zu erinnern, ist sein Essay vielleicht erfolgreich gewesen. Aber hat sein Beitrag das „Stolterfoht‘sche Theorem“ wirklich plausibler gemacht? Ich finde: noch nicht ganz.

Reineckes Essay ist erst einmal attraktiv, weil es eine vielleicht in Vergessenheit geratene Vielfalt des Verstehensbegriffes zurück ins Bewusstsein holt. Verstehen ist eben nicht nur, sondern auch. Wer Stolterfoht angreifen oder ihm zustimmen will, soll sich also nach Reinecke erstmal besinnen.

Meines Erachtens wird mit Verstehen immer mindestens Zweierlei assoziiert: Einmal gedacht als Ergebnis einer (womöglich intensiven, [heraus]-fordernden und mit Willenskraft verbundenen) Denkoperation, die mit Überwindung eines Widerstandes einhergeht. Nach dem Prinzip: Licht ist Arbeit. Verstehen dann aber auch andererseits als intuitive Einsicht, eine Art „Seelenwahrnehmung“ während des Lesens, weit vor jedem kognitiven Reflexionsakt. Denkt man sich „Seele“ kurz als Sinnesorgan wie etwa Augen, so ist das Verstehen – gedacht als Wahrnehmung – hier natürlich genauso anfällig, einer Art optischen Täuschung zu unterliegen. (Aber, weg von diesen begrifflichen Hilfsprovisorien!)

 

Die verständliche Welt: ein Pennälertraum

 

Nachdem Reinecke den polemischen Kunstgriff von Axel Kutsch entlarvt hat, liest er Hans Thill eine Spur anders als ich. Ich finde, Thills Sorge ist nicht etwa, dass in der Schule Verstehen als überwundenes Missverstehen gelehrt wird, sondern, dass Schule von Anfang an die utopische Vorstellung vermittelt, dass das Verstehen und damit einhergehend Erkennen und Erkenntnis dem Menschen als fortwährend greifbare Option gegenüber der Welt zur Verfügung steht. Es wird also – im Gegenteil – immer viel zu schnell „verstanden“ (was auch immer das im Einzelfall heißt). Woran sich der Schüler gewöhnt. „Ist die verständliche Welt eine Verheißung der niederen Pädagogik, so gestaltet sich das verständliche Gedicht als Pennälertraum.“ Um noch einen Schritt weiterzugehen: Das Problematische an dieser Idee vom Verstehen ist, dass sie immer schon eine verstehensmögliche Sache voraussetzt. Verstehen ist in diesem Fall ein Prozess, der nur dort funktionieren kann (oder als Missverstehen scheitern), wo etwas Verstehbares vorhanden ist. In der Schule wird uns gewissermaßen die Möglichkeit vorgegaukelt, wir hätten es ständig mit einer potentiell verständlichen „Welt“ zu tun. Eine Welt, deren Nachvollziehbarkeit  l e d i g l i c h  noch aufgedeckt werden müsse (in maximal ein bis zwei Schritten). Das heißt, wir werden darauf ausgerichtet, jedes Phänomen als auflösungsfähiges Problem zu denken, also immer schon einseitig wahrzunehmen. So auch Gedichte. Und alles, was etwas be-deuten soll. Aber was wäre denn das für eine faszinationslose Welt? Oder, um es mit einem leider hervorragenden Deutschlehrer zu sagen: „Diese Welt benötigt dann doch wirklich nicht mehr als tausend Begriffe, um vermessen zu werden. Mir wird diese Welt zu rund.“ Warum also mit Thills Beitrag für Stolterfohts Satz „Das Verstehen in der Lyrik hat der Teufel gesehen.“ eine Erklärung angeboten ist? Weil er Stolterfoht vielleicht zu recht unterstellt, dass Verständlichkeit als Kriterium (für Kunst und speziell für Gedichte) überbewertet wird. Allein, dass (wie mein Lyrikdozent2 es neulich in einer Vorlesung formulierte) viele Leser „Gedichte in verständliche und unverständliche unterteilen“, als sei damit irgendeine Qualifikation vorgenommen,  i s t schon das Ergebnis einer zugrundeliegenden Fehlorientierung.

Und „auch in der Tradition galt der Text immer schon als geheimnisvoll. Ein altes Wort aus der Kabbala weiß, dass die Schrift siebzig Gesichter hat.“ Ich frage mich an der Stelle heimlich, ob etwa Konfirmanden sogar besser mit Gedichten umgehen können, ist doch zumindest das Bewusstsein vom immerhin vierfachen Schriftsinn Teil der Bibelexegese. Hat mir mein Religionsunterricht letztlich mehr genützt als der Deutschunterricht? Sollte sich der Germanistik-NC zukünftig auch an der Religionsnote orientieren?

Noch ein Seitenast: Wo argumentiert wird, der Autor schere sich mit unverständlichen Gedichten einen Dreck ums Verstandenwerden, „also um den Leser“, wird Kunst als Kommunikationsmedium verstanden. Kann man machen. Mit einigen Texten, Gedichten. Mit vielen vielleicht. Aber Stolterfoht sprach ja gar nicht vom Autor. Er sprach von G e d i c h t e n, die sich einen Dreck ums Verstandenwerden scheren. Gisela Trahms streicht für sich diesen Unterschied. Ob das zulässig ist, darüber kann man sich streiten. Aber es ist immer schwierig, eine Position zu widerlegen, wenn man die aufgemachte Differenzierung unterwandert, ohne diesen Schritt ausreichend zu begründen.

 

Bertram Reineckes Alternativangebot

 

Für jemanden, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen es gehört, anderer Gedichte zu parodieren, ist die Erklärung: Verstehen heißt so viel wie „Ich traue mir zu, in seiner Art [sinnvoll] weiter zu sprechen.“ – natürlich eine vorteilhafte Positionierung. (Man ist ja hilflos gegen seine eigenen Stärken.) Klingt sie auch erst einmal einleuchtend, ergeben sich für mich aber mit dieser Behauptung sofort mindestens drei Probleme:

Erstens. Damit ist das Phänomen der Überprüfung durch andere („Immer ist ein Experte zugegen, der bewerten muss, ob das Gesagte stichhaltig ist.“) nicht aus der Welt geschafft – Gut. Jetzt wird nicht mehr g e s a g t, was man gesehen hat, sondern g e z e i g t. Aber was verändert das? Zum Beispiel zeigt dieser Kommentar zu Milautzckis Parodie, dass die Bewerter immer genau ein Widerwort weit entfernt sind. Wer soll hier entscheiden, ob nun sinnvoll weitergesprochen wurde? Und was bedeutet das Angebot Reineckes im Umkehrschluss für die Voraussetzungen und Fähigkeiten des Lesers? Was wird aus dem armen Germanistikstudenten, der nun nicht einmal mehr mit antrainiertem Fachprosa-Sixpack an die Gedichte herantreten kann, sondern selbst zum Dichter werden muss, um sein Verständnis unter Beweis zu stellen. (Bertram, hast Du nicht neulich mir gegenüber noch behauptet, Parodieren sei eine Kunst?) Wie sieht es dann mit dem Leser aus? Muss er „Künstlerpotential“ haben, um verstehen zu können? „Ein kundiger Leser könnte kunstreich Variationen in den Text einflechten.“, schreibt Reinecke. Das ist mir ein bisschen viel Konjunktiv. Dann wären wir ja genau da, wohin die Lyrik gern verortet wird: im Elfenbeinturm. Dichter schreiben für Dichter.

Und überhaupt: Dafür, dass Reinecke sich eigentlich dagegen wehrt, dass Verstehen beweisbar sein soll, bietet er mir hier keine wirkliche Alternative an.

Zweitens. Was bedeutet überhaupt die Behauptung, dass er sich sinnvoll fortsetzen ließe, für einen Text? Was ist dann ein Gedicht? Eine Variable? Oder eine Sinnmenge, aus beliebigen Elementen bestehend, die durch andere gleich beliebige ersetzbar sind, solange sich nur der „Wert“ nicht verändert? Ich kann da nicht ganz mitgehen. Ich glaube nicht recht an Synonyme.3 Aber nehmen wir einer möglichen Identitätspoetologie zum Trotz einmal an, ein Gedicht könne noch das selbe sein, selbst wenn man „eine neue charmante Wendung“ einfügt, wie wenn man „eine Melodie nach der Oper weiterpfeift“. „Ich traue mir zu, in seiner Art [sinnvoll] weiter zu sprechen.“ Die Frage ist: worüber? Das „Konzept der Fortsetzbarkeit“ macht, wenn überhaupt, nur ein paar Zeilen lang Sinn. Bis zu wie viel Worten lässt sich ein Gedicht denn sinnvoll fortsetzen? Früher oder später kann man nur noch zwischen zwei Übeln wählen: Redundanz4 oder Entfremdung. Natürlich lässt sich generell ein Celan- oder Rilketon imitieren, aber wer sinnvoll ein Gedicht fortsetzt, muss wohl oder übel bei diesem5 sich dann erschöpfenden Material bleiben. Und: eine fremde Zunge (und eine fremde Haut zumal) kann man nur simulieren. Nicht erlernen. Nie erfahren.

Drittens. So, wie Bertram Reinecke das Verstehen thematisiert, handelt es sich um einen lustvollen Vorgang. Das ist schön. Da gehe ich gern mit. Aber inwiefern stützt das nun Stolterfohts Position, spricht er doch gerade von einer „Sensation der Un-Geläufigkeit“, die sich „am deutlichsten im Nicht- oder Kaum- oder Nicht-so-richtig-Verstehen zu manifestieren“ scheint?

Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen anderen, etwas randständigen Aspekt zu sprechen kommen. Wie äußert sich denn das Verstehen? Sitzt irgendwo der Lesermensch ernst und nachdenklich am Kamin, tief über ein Gedicht gebeugt und nickt bedächtig und wissend, als gälte es, die Welt zu bestätigen, auf den Bruder im Geiste das Weinglas erhebend? Nicht zwangsläufig. Beim Verstehen muss nicht immer eine erhabene oder vergeistigte Komponente mitschwingen. Verstehen lässt sich eben auch vieles, was langweilig, banal, brav und bieder ist. Vielleicht auch, was man früher längst schon einmal gedacht hat (und einem in der Retrospektive jetzt ziemlich dumm vorkommt). Ist ein Satz wie „Thorsten und Torben schlurfen in Hausschlappen zum Penny“ verständlich? Ja. Aber schön ist was anderes. „Verstehen heißt eine Lebensform teilen“, fasst Reinecke Thill zusammen, Marx schreibt ins Album seiner Tochter:„Nichts Menschliches ist mir fremd“ – ja, aber was heißt das? Dass der, den ich verstehe, mir ähnelt, mir bekannt vorkommt. Aber: was uns gemeinsam ist, ist auch zugleich schon trivial. Faszinierend ist doch das Andersartige, das Fremde, Rätselhafte, Unbekannte und Unentdeckte, oder nicht? Wenn jemand so spräche und schriebe wie ich, ich würde ihn sterbenslangweilig finden.

Und nun zu Stolterfoht!

Also: worum geht es? Die Grundhaltung Ulf Stolterfohts ist nicht wirklich spektakulär. Eher vertraut. Dass das anziehend ist, was sich uns entzieht, sei es im Bereich der Erotik, des Denkens oder meinetwegen der Religion, ist kein neues Phänomen. Warum sollte es mit Gedichten anders sein? Die Frage ist also, was der Lyrikleser als anziehend empfinden darf und wonach er folglich Gedichte auswählt (denn jeder Leser hat sich offenbar vor anderen als solcher zu rechtfertigen, sonst stünde die Frage eh nicht zur Debatte). Ging es Ulf Stolterfoht in seinem „Tätigkeitsbericht“ am Ende des Jahrbuchs nicht vor allem auch darum zu erklären, warum er als Mitherausgeber so ausgewählt und entschieden hat wie er entschieden hat? Also zugespitzt gesprochen: seine Kunstkriterien zu nennen? Auch Uljana Wolf, die Mitherausgeberin des nächsten Jahrbuchs, nennt ein Jahr später ihr Kriterium. Was sie für wichtig hielt, für „notwendig“sogar, sind „Gedichte, die dem Bedürfnis nach Schlusszeilen bzw. Gedichtenden widerstanden.“ – wo ist die Diskussion dazu? Und: geht es dem Prinzip der wechselnden Mitherausgeberschaft nicht sowieso darum, dass sich aufgrund der wechselnden Ansprüche die Auswahl verändert und nicht Jahr ums Jahr die „gleiche“ bleibt?

„Mir scheint sich diese Sensation der Un-Geläufigkeit am deutlichsten im Nicht- oder Kaum- oder Nicht-so-richtig-Verstehen zu manifestieren“, schreibt Stolterfoht, und verweist damit implizit schon auf einen Aspekt des Verstehens, den so deutlich noch niemand genannt hat: dass Verstehen eben auch eine Form von Erinnern ist. Auch und gerade Strukturverstehen.

Mit Erinnern meine ich hier eben nicht: ich erkenne beispielsweise den Rathausturm wieder, den Ögyr im Gedicht turmalin als Vorlage verwurstet hat, sondern mir sind bestimmte Arten des Sprechens vertraut, mit denen Worte und Zeilen zusammengestellt wurden, sodass ich Sinn herstellen kann6. Übrigens muss man nicht Stolterfoht heißen, um das so zu sehen. Schon in den 80er Jahren eilt Rainer Kirsch Stolterfoht voraus und zur Hilfe. Es gibt „im Gedächtnis des Hörers oder Lesers gespeicherte Verfahrensensembles – poetische Redeweisen -, mit denen ein Gedicht verglichen wird. Hier sind zwei Extreme möglich 1. Das Verfahrensensemble ist von einem traditionellen nicht mehr unterscheidbar (…), so daß es keine poetische Information mehr transportiert: der Leser nimmt die semantisch möglicherweise neue Botschaft nicht auf, da ihm ‚schon alles bekannt’ scheint. 2. Das Verfahrensensemble weicht von jeder Tradition so weit ab (…), daß der Leser, da ihm der Schlüssel zum Code fehlt, die Botschaft nicht entziffern kann.“7

Ich vermute, der zweite Fall oder zumindest eine Annäherung an dieses Extrem ist es, was Stolterfoht anziehend findet.

Zugespitzt: Schön ist ein Gedicht, wenn es mich an keins erinnert. Oder auch antiautoritär ausgedrückt: nach einer anderen Sprache verlangen die nicht geschriebenen Sätze.

Vielleicht ist es aber auch am Ende so, dass Stolterfoht uns insgeheim alle an der Nase herumgeführt hat und sich über die erregten Gemüter amüsiert… Ich schließe also ab mit folgendem Zitat:

Ich war ein wenig bestürzt, als er sagte: „Ich bin froh, daß ich das, was Ihr sagtet, nicht verstanden habe.“ Aufgeregt sagte ich rasch: „Dadurch, daß Ihr froh seid darüber, zeigt Ihr, daß Ihr es verstanden habt.“ (Kafka, Gespräch mit dem Beter)

 

_____________________________________________

1 Auszug:„Wenn es – zumindest mir – beim Lesen von Gedichten auch darum geht, überrascht und verunsichert zu werden, dann bedeutet das für’s Gedicht, dass es nicht nur mehr wissen muss als sein Autor (eine Sache, die sich kaum verhindern lässt), sondern dass es vor allem mehr weiß, als der Leser (eine Sache, die ganz schwer zu bewerkstelligen ist). Oder, besser gesagt, ist es immer die Rhetorik, die Geste des Sagens, die sprachliche Haltung, die ein Gedicht einnimmt, welche darüber entscheidet, ob einem etwas bekannt und geläufig vorkommt oder nicht. Mir scheint sich diese Sensation der Un-Geläufigkeit am deutlichsten im Nicht- oder Kaum- oder Nicht-so-richtig-Verstehen zu manifestieren, während noch die überraschendste Pointe davon lebt, auf irgendeine Art und Weise, aber nun doch: verstanden zu werden. Credo: Das Verstehen in der Lyrik hat der Teufel gesehen!“

2Da er ungern namentlich außerhalb eines Kontextes zitiert wird, verheimliche ich die Identität dieses Greifswalder Literaturwissenschaftlers.

3 Ich spreche hier gleichermaßen von synonymen Wörtern wie Sätzen. Aber vermutlich ist das eine Haltung, von der ich mich verabschieden muss. Denn sie setzt eine Art Gedichtideal voraus (Das, was geschrieben steht, könne nur SO gesagt werden), dem dann doch nicht alle Gedichte tatsächlich entsprechen. Ich bekenne mich dazu, dass ich an dieser Stelle sehr unsicher bin. Man wird mir zweifelsohne Gedichte vorlegen können, die mich in meiner Haltung straucheln lassen. Wo also unerheblich ist, ob eine Zeile oder ein Wort fehlt, wo es unerheblich ist für einen generierten Gesamtsinn, wenn der Dichter ein Wort gestrichen hat. Kommt eben immer drauf an, mit welchem Gedicht man es zu tun hat und so weiter und so fort.

4Dabei mochte Bertram Reinecke doch selbst nicht recht glauben, dass ein „‘Mehr von dem Selben‘ in irgend einer Weise zu verbesserter Gedichtlektüre führt.“ Die Frage ist auch hier: inwieweit wäre es denn ein „Beweis für Verständnis“, wenn ich ergänze, was da steht? Hier wird meiner Meinung nach die Illusion erzeugt, man bliebe „näher am Text“ wenn man nicht wie üblich mit „eigenen Worten formuliert“, was man verstanden hat, sondern mit fremden Worten, von denen man glaubt, sie führten eine angefangene Rede fort.

5An dieser Stelle geht es mir auch ein bisschen um die Autonomie des Gedichts. Mir wurde beigebracht, dass sich jedes Gedicht seine eigenen Gesetzmäßigkeiten schafft, mit denen es dann selbstbezüglich in dynamische Verhältnisse tritt. Aber ich glaube, jemand, der parodiert, bedient sich eben oft auch eines Tons, den er vom Dichter generell gewöhnt ist, also mehr eines gedichtübergreifenden. Unbeholfen umschrieben mit: Man sieht den Baum vor lauter Wald nicht.

6Verstehen heißt hier also: während des Lesens Sinn (re)produzieren. Sinn hier nicht als Synonym für Bedeutung oder gar Intention, sondern einfach „Zusammenhänge herstellen“. Etwas ergibt Sinn, wenn ein Funktionszusammenhang entdeckt wurde. „Ohne also zu wissen, was «minche» bedeutet, ahnt man doch, welchem Zweck es dient – die vielleicht brauchbarste Definition für «bedeuten».“ (Stolterfoht)

Ich versuche mal ein Beispiel: „Du bist sieben Grüns zu spät“ – ein Satz, der erst einmal eine Frage verursacht: was ist mit grün gemeint? Ist man ein pfiffiger Ergänzungserfinder, könnte man sich folgende Szenerie vorstellen: zwei Freunde sind an einer Ampelkreuzung verabredet. Während der eine sich verspätet, zählt der andere die Wartezeit über, wie viele Grünwellen vergehen, bis sein Freund auftaucht. Als er endlich kommt, spricht er den Satz. Vor der Situation „bedeutet“ grün tatsächlich etwas ganz bestimmtes. Aber ich glaube, auch unabhängig von dieser Bildergänzung wird der Satz verstanden, indem man grün automatisch als Maßeinheit begreift, was vom Satz selbst nahegelegt wird. Gedichtzeilen sind nun noch ein bisschen komplexer, aber vielleicht versteht man jetzt, wie ich es meine. Natürlich kann der Zweck auch metapoetisch sein. Lautpoesie würde ich hier z.B. einordnen. Aber das geht jetzt zu weit.

(Im Gegensatz zu Reineckes eher ergebnisorientierten Begriff – eigentlich hätte er den Bedingungssatz formulieren müssen:„Wenn ich mir zutraue, in seiner Art sinnvoll weiter zu sprechen, dann habe ich anscheinend etwas verstanden.“ – bin ich eher daran interessiert: wie bezeichnet man eigentlich das, was passiert, während wir verstehen: das Prozesshafte.

Zusätzlich sei noch gesagt: ich mag Verstehen eher jenseits von richtig und falsch betrachten. Für mich ist Verstehen hier eher eine Art Begleiterscheinung beim Lesen; etwas, das sich von allein in Gang setzt.

Man müsste zwei verschiedene Fragen formulieren, um den Unterschied zwischen mir und Bertram Reinecke zu unterstreichen: die seine ist: „Woran zeigt sich, dass ich verstanden habe?“, die meine: „Was tue ich beim Verstehen?“ – Reinecke versucht mehr, das Verstehen in den Horizont der von ihm als verbesserungswürdig empfundenen Deutungspraxis einzuordnen – etwas worauf es mir, vielleicht noch nicht genervt genug von deren Ergebnissen, nicht ankam. )

7 „Das Wort und seine Strahlung.“

 



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