16. Bienen werden

Insekten und ihre Lebensformen überhaupt stiegen im 19. Jahrhundert zu sozialen Paradigmen auf, nicht zuletzt durch das bahnbrechende Werk Jean-Henri Fabres, dem „Homer der Insekten“ (Victor Hugo). Um die Jahrhundertwende überschlugen sich dann die sozialen Phantasmen. Der spätromantische Dichter Maurice Maeterlink verfasste einen regelrechten Kulturbestseller unter dem Titel „La vie des abeilles“ (1901); 1912 erschien Waldemar Bonsels Weltbestseller „Die Biene Maja“. Den Gipfel dieser Fantasmen erreichte Rudolf Diesel, Erfinder des Dieselmotors, den Dutli allerdings nicht mehr behandelt. 1903 erschien das lebensreformerische Hauptwerk über den „Solidarismus“, mit dessen Proklamation Diesel den Klassenhass besiegen und die Gesellschaft quasi als funktionstüchtigen Apparat einrichten wollte. Die geplante neue Gesellschaft sollte aus selbstverwalteten Genossenschaftsbetrieben bestehen, die Arbeiter am Gewinn beteiligen und sämtliche Lebensbedürfnisse kostenlos befriedigen. Geleitet von den wunderlosen Geboten des Christentums sollten Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit herrschen, Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und Liebe. Das schlagende Modell für all dies fand Diesel im Bienenstock. Für seine Reform erfand er eine groteske und rückblickend eher angsterregende Terminologie: „Bienenpreise“ im Sinne von Billigpreisen sollte es geben, „Bienenkarten“ zwecks Identifikation jedes Einzelnen sollten eingeführt und „Bienenakten“ zu jedem Mitgliedsleben angelegt werden, und so weiter. Auch wenn uns heute vieles durch elektronische Technologie eingelöst erscheint, die vollständige „Erlösung des Menschen“, die Diesel mit seinem „Solidarismus“ betreiben wollte, musste scheitern. Die von ihm angesprochenen Arbeiter wollten keineswegs alle „Bienenstöcke errichten“ oder gar „Bienen werden“.

Ralph Dutli hat kein Fachbuch geschrieben, weder ein biologisches, noch ein kulturhistorisches mit Anspruch auf Vollständigkeit. Aber er hat, auch als Anregung für die neueren Animal Studies, den wohl elegantesten Familienroman seiner Zunft verfasst, eine Geschichte der Naturpoesis, die in den höchsten Rängen beginnt und nun, ähnlich wie die Griechen heute in Europa, gerade vom Verfall, vom Aussterben bedroht ist. Allerdings gibt es Chancen: Laut Dutli leben inzwischen gesündere und produktivere Bienenstöcke auf städtischen Dächern als auf dem verpesteten Lande. / Claudia Schmölders, literaturkritik.de

Ralph Dutli: Das Lied vom Honig. Eine Kulturgeschichte der Biene. 
Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 
208 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783835309722



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