139. Meine Anthologie 72: Wafa´ al-Amrani, Der achte Tag (Auszüge)

Der achte Tag (Auszüge)

„Er sagte zu mir: Der Todestag ist der Hochzeitstag und der Tag des Alleinseins ist der Tag der Geselligkeit.

An-Niffari*

1 Wurzel
Ich bin aus dem Gefühl geboren. Das ist nicht wie die Liebe
nicht wie der Haß, sondern ähnelt sehr dem Hochmut.
Sie wollten mich nicht, doch ich kam, kam dennoch hervor als ich es wollte.
Schon vor allem Anfang war ich eine Rebellin.
Ich brachte zum Ausdruck, daß ich und das Zeitalter am Rand der Fremde zweierlei Dinge sind
daß ich und die Zeit stets zweierlei sind.

2 Schöpfung
In innerer Betrachtung
beginn’ ich mit meiner Schöpfung.
Ich lege mich in etwas noch Engeres als ein Nadelöhr.
In meinen Innersten kleide ich mich in ein Drängen.
Der Wind aus der Senke
ist weder maghrebinisch noch syrisch.
So gehe ich fort
ohne daß mich das Fortgehen wegschleppt
auch ohne daß mir die Durchquerung entgeht
oder daß mich die Ankunft verschüttet.

3 Körper
Wenn die Stimme des Körpers ausschweift
reift die Weiblichkeit der Weisheit
und deckt sich an manchen Stellen mit Blumen
zu Stellen, die träumen aus Scham
Dann sattele ich das Schreiten zur Begierde.

4 Liebe
Ich habe mein junges, freies Herz
an den höchsten Gipfel des Atlasgebirges gehängt
weil die stinkenden Hyänen
sich bergab zu bewegen pflegen.
Die Höhe verursacht ihnen gewöhnlich
Schwindel und Übelkeit.

Mein Herz ist eine duftverminte Blume
doch der Pflückende ist ein chronischer Schnupfen.

[...]

7 Eintönigkeit
Gäbe es doch einen Sinn
gäbe es doch eine Farbe
gäbe es doch einen Tag außer der Post am Montag
der Eisenbahn am Dienstag
dem Wäschewaschen am Mittwoch
der Versammlung am Donnerstag
dem Ekel vor dem Freitag
der Einsamkeit des Samstags
der Last des Sonntags!

Oh, der Sonntagmittag!
Gäbe es doch ein Gesicht anstelle eines Gesichts
gäbe es doch eine Nummer anstelle einer Nummer
gäbe es doch ein Alter anstelle dieses Alters
gäbe es doch eine Zeit anstelle dieser Zeit
gäbe es doch eine Sonne anstelle der Sonne
gäbe es doch eine Erde anstelle der Erde
gäbe es doch tatsächlich Luft wie die Luft…

Was um mich herum ist, ödet mich an,
manches von mir, ich selbst und ich ganz.
Es ödet mich an, die Muse der Dichter zu sein
es ödet die Erde mich an, die mich nicht an die Zügel
zu nehmen vermag, und auch der Himmel.
Es ödet mich mein Kollege an, der übel über mich redet
die Straße, die mir lästig ist, und mein Bruder, der mich ausfragt, doch nicht über mich.
Es öden mich an meine Wohnung und meine Zeit.
Es öden mich an die Langeweile und ich selbst.
Ich leugne all diese Zustände ab. Auch das Ableugnen ödet mich an.
Gäbe es doch einen Tag
gäbe es doch eine Farbe
gäbe es doch einen Sinn

*) mittelalterlicher arabischer Mystiker

Aus dem Arabischen von Suleman Taufiq

Aus: Khalid al-Maaly (Hrsg.): Zwischen Zauber und Zeichen. Moderne arabische Lyrik von 1945 bis heute. Berlin: Verlag Das Arabische Buch 2000, S. 448-451

Wafa’ al-Amrani (Marokko) wurde 1960 geboren



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