1. Windschiefes Lyrikhaus mit risk und fun

Während es im Vorwort von Der Große Conrady heißt, daß man, vor allem (aber nicht nur) im Kompartiment der zeitgenössischen Gedichte eher auf Dokumentation als auf Kanonbildung aus sei, da wohl erst die Nachwelt mit naturgemäß distanzierterem Blick feststellen könne, welche Verse die Zeiten überleben, schlagen Michael Lentz und Michael Opitz als Heraus­geber der Anthologie In diesem Land. Gedichte aus den Jahren 1990 bis 2010 (bewußt an Adolf Endlers und Karl Mickels In diesem besseren Land von 1966 sowie Hans Benders In diesem Lande leben wir von 1978 anklingend) den umgekehrten Weg ein und betonen, daß sie Gedichte ausgewählt haben, von denen [sie] überzeugt sind, dass sie bleiben werden.
Während meiner Non-stop-Rundfahrt durch In diesem Land lese ich dieser Aussage zum Trotz eine Reihe von Gedichten, die ich nicht so geglückt finden kann, um davon aus zugehen, daß sie in 25, 50 oder 100 Jahren noch gelesen werden. Ich wette jedenfalls: nein. Davon abgesehen, stellen die fulminanten, originellen, schönen In-diesem-Land-Gedichte locker und wie selbstverständlich die absolute, nein, totale Mehrheit – schon der energisch zu packende, erdige Auftakt mit Henning Ahrens’ Bekenntnis ist verheißungsvoll, und Jürgen Becker, Elke Erb, Gerhard Falkner, Heiner Müller, Thomas Kling, Helga M. Novak, Brigitte Oleschinski, Oskar Pastior, Ernest Wichner, ach, es ist müßig, sie alle aufzuzählen, folgen mit zum Teil spektakulären Versfolgen. …

Sind bis zu rund 10 Seiten pro Autor, bei jeweils vier Gedichten, womöglich zuviel für einen Überblick dieser Art mit einem Umfang von nahezu 650 Seiten und dem Anspruch, daß unsere Anthologie das dich­terische Schaffen der letzten zwanzig Jahre resümiert und das Spektrum durchaus weit zu fassen? Gewichtungen von einer bis fünf, sechs Seiten hätten viel freien Platz schaffen können für das Drittel, das 50 Lücken schließen würde. Denn auch Gedichte von C. W. Aigner, Beat Brechbühl, Ann Cotten, Guillermo Deisler, Peter Engstler, Ludwig Fels, Franzobel, Nora Gomringer, Hadayatullah Hübsch, Sabine Imhof, Ulrich Koch, Jean Krier, Nadja Küchenmeister, Thomas Kunst, Philipp Luidl, Rainer Malkowski, Jörg Neugebauer, Andreas Okopenko, Vera Piller, Hendrik Rost, Helmut Salzinger, Robert Schindel (Die Lyrik hat es schwer, aber sie wird nicht untergehen), Johann P. Tammen, Christian Uetz, Günter Vallaster, Christoph Wenzel und Ulrich Zieger wären alles andere als fehl am Platz in einer mit repräsentativem Anspruch antretenden Lyrikauswahl deutscher Gedichte der Jahre 1990 bis 2010.  …

In diesem Land ist ein windschiefes Lyrikhaus mit löchrigen Wänden und einer Reihe fehlender Ecksteine, die den ganzen Bau auf riskante Art und Weise in Umsturzgefahr bringen. Aber – in einem solchen Haus, in dem ich so manches Erwartete nicht vorfinde und in dem der Boden unter den Füßen nachgibt, halte ich mich immer wieder gern auf, no risk, no fun, lobe den Hausherrn über den grünen Tee und führe entflammte Gespräche. / The Breuer*), Poetenladen

Michael Lentz · Michael Opitz (Hg.), In diesem Land. Gedichte aus den Jahren 1990-2010 von 101 Autorinnen und Autoren, darunter Marcel Beyer, Nico Bleutge, Mirko Bonné, Thomas Brasch, Ulrike Draesner, Anne Duden, Hans Magnus Enzensberger, Hartmut Geerken, Eberhard Häfner, Ulla Hahn, Wolfgang Hilbig, Rainer Kirsch, Wulf Kirsten, Karin Kiwus, Uwe Kolbe, Christine Koschel, Michael Krüger, Richard Leising, Kito Lorenc, Christoph Meckel, Franz Mon, Herta Müller, Monika Rinck, Tom Schulz und Paul Wühr, Nachwort der Herausgeber, 637 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, Lesebändchen, S. Fischer, Frankfurt am Main 2010.

*) den Tippfehler will ich dann doch stehen lassen



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